Jasmin - Roman
gleich an.«
Auf dem Weg flüsterte mir Sonja zu: »Ich fürchte, deine Freundin ist zu sehr von der arabischen Propaganda beeinflusst.« Danach fragte sie mit Kummer in der Stimme: »Hast auch du dich so weit entfernt?«
43.
»WAS HÄTTEST DU TUN KÖNNEN?«
Der Speisesaal war voll. Der Akkordeonspieler stand auf der Bühne. Seine Finger glitten über die Tasten, alle fingen lauthals zu singen an, und ich stimmte mit ein, falsch wie damals:
Singe, Jugend, sing unsere Zukunft,
sing von Erneuerung, Bau und Alija.
Aus dem Exil werden unsere Brüder strömen,
das Heimatland steht wieder auf zum Leben.
Jasmin zwickte mich: »Zum ersten Mal höre ich dich auf Hebräisch singen.«
Ich flüsterte ihr zu: »Die Religiösen eröffnen eine Versammlung oder einen kulturellen Abend mit Worten der Thora und die Pioniere mit öffentlichem Gesang. Das ist eine neue Kultur!«
Ein Geiger und eine Klavierspielerin der Kibbuzjugend spielten den ersten Satz der Frühlingssonate von Beethoven. »Bist du sicher, dass das Landarbeiter sind?«, fragte Jasmin.
Anschließend trat Chagi auf die Bühne, um mich vorzustellen. Meine Lippen waren trocken und mein Kopf leer. Die alten Kibbuzler mit den harten, verbrannten Gesichtern machten mir Angst.
»Kameraden und Kameradinnen, ich bin aufgeregt wie ein Junge bei der Bar-Mizwa, der seinen Thora-Abschnitt vorträgt«, begann ich. »Erst gestern war ich ein Zögling hier, der auf den letzten Bänken im Speiseraum saß, und heute stehe ich hier auf der Bühne, verzeiht mir also meine Aufregung.
Wir brauchen heute einen neuen Anfang, eine Revolution, die die Araber Israels und uns, die Einwanderer aus den islamischen Ländern, die wir in diesem Krieg Schulter an Schulter mit euch kämpften, berücksichtigt.
Die Frage ist, wo unser Platz auf der Bank der Führungsriege sein wird, ob das Wissen, die Intuition und unsere kulturelle Nähe zu den Arabern genutzt werden und ob wir ein formgebender Faktor in der Kultur und der neuen Staatsexistenz sein oder weiterhin das zweite Israel bleiben werden.
Und noch eine Frage: Werden die Araber Israels weiterhin das dritte Israel bleiben? Ich glaube, dass unsere Taten von heute bestimmen, ob die Araber Israels zu unseren Nachbarn oder zu unseren Feinden werden. Wird es uns gelingen, uns dem anderen zu öffnen und seine Nöte zu berücksichtigen? Werden wir diese Einsicht haben, um die erforderliche Revolution in Gang zu setzen und eine Zukunft von Frieden und Nähe auf den Weg zu bringen?«
Dann ging ich zu einer kurzen Schilderung der Bevölkerung in Ostjerusalem und im Westjordanland über und illustrierte ihre Nöte mit Beispielen aus meiner persönlichen Erfahrung. Ich sprach von Dingen, die mir auf der Seele brannten, und als ich endete, spürte ich, dass mein Rücken schweißnass war. Viele teilten meine Position, ein Teil der Argumente wiederholte sich in diversen Variationen.
Dolek sprach als Erster: »Nuri, du bist bei uns erzogen worden, und du weißt, welche Bedeutung dieser Ort für uns hat. Wir sind mit diesem Ort gewissermaßen durch unsere Nabelschnur verbunden, wir haben ihn mit unserem Blut fruchtbar gemacht, mit unseren Träumen bewässert. Und was den Frieden betrifft, vielleicht ist es die Hitzigkeit der Jugend, die dich dazu treibt, die Last uns allein aufzubürden, und die dich die harten Tatsachen, die Realität vergessen lässt. War unsere Hand nicht immer zum Frieden ausgestreckt? Was sollen wir machen, wenn sie sie ausschlagen? Die Verantwortung für Nähe und Frieden kann nicht
nur auf uns entfallen, auch wenn wir es mit unserem ganzen Herzen und unserer ganzen Kraft wollen.«
German, der Geschichtslehrer, sagte: »Das ist das Land unserer Väter. Die Araber sind nach uns hierher gekommen. Die, die sich ›Palästinenser‹ nennen, kamen aus Jordanien, Syrien, Ägypten und dem Irak, aus Saudi-Arabien, dem Libanon und dem Sudan und haben sich in unserem Land angesiedelt. So wie wir sie anerkennen, müssen sie uns anerkennen. Junger Freund, deine Offenheit gegenüber den Arabern ist wichtig. Auch ich wollte in meiner Jugend die Welt als einen solch schönen Ort sehen. Es ist aber unmöglich. Das Leben ist nicht so einfach. Die schöne Vision, die du präsentiert hast, bezieht sich nur auf einen schmalen Ausschnitt der Wirklichkeit, und sie ignoriert die schreckliche fanatische Gewalttätigkeit in der muslimischen Welt einerseits und das schreckliche jüdische Leid andererseits. Du redest, als hätten wir hier
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