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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Geräusch. Das Klappen
der Tür verkündete, dass sie aus der Dusche heraustrat, und dann kam das Tappen ihrer nackten Füße auf dem Weg in das kleine Zimmer, ohne Tür oder Trennvorhang. Im Geiste sah ich sie das Handtuch vom Kopf nehmen und ihr Haar schütteln, ich liebe nasses Haar. Jetzt legte sie den Bademantel ab, und ihr nackter Körper, den ich nie gesehen hatte, offenbarte sich … Mein Herz beschleunigte seinen Schlag, mir wurde glühend heiß. Ich wollte aufstehen und sie wie ein Wahnsinniger lieben, ihr Fleisch fühlen, sie durchdringen, damit sie mein würde, meine Geliebte, meine Schöne, Freude meines Herzens - doch ich hielt mich zurück. Ich musste mich beruhigen, tief einatmen, die Luft in der Brust behalten und sie ganz langsam wieder herauslassen, um den Aufruhr in meinem Körper zum Schweigen zu bringen. Ich musste schlafen, denn heute Abend erwartete mich eine doppelte Prüfung. Die Geräusche ihrer Bewegungen in dem kleinen Raum neben mir verstummten, anscheinend war sie eingeschlafen.
    Im Schlaf suchten mich wirre, sprunghafte Träume heim und ein Bild, klar und stark: Der rötliche Tigris fegte Terrarossaerde mit sich, brach schäumend in den weißen Sand von Pardes Hanna ein, überflutete das Immigrantenlager, ertränkte dessen Zelte und verschlang es.
    Ich schreckte verstört aus dem Schlaf. Wo war ich? Dunkelheit. Mein Kopf war schwer. Der Vortrag, fiel mir ein. O weh, ich hatte mich verspätet! Ich schaltete die Nachttischlampe ein und blickte auf die Uhr, fünf nach sechs. Und wo war Jasmin? Sie war nicht im Zimmer. Ich öffnete die Läden, draußen war es noch hell, wo war sie nur? Vom offenen Fenster aus hielt ich beunruhigt Ausschau, bis ich sie auf dem Pfad auftauchen sah, die Kameratasche über ihrer Schulter und einen Strauß Feldblumen in der Hand.
    »Dieser Kibbuz ist wie ein Dorf aus einer anderen Welt«, weihte sie mich in die Eindrücke von ihrem Spaziergang ein. »Pastoral. Die Menschen sind erholt, sitzen auf den Terrassen und den Wiesen mit den Kindern, keiner fragt, wer ich bin und was ich hier
mache. Alles ist offen, eine einzige Familie. Vollkommen, wie in den Propagandabroschüren.«
    Ich servierte ihr Kaffee und streichelte ihren Arm. »Auch ich habe in meiner Jugend so gedacht. Dem Anschein nach eine reine Idylle, alles offen, keine Schlösser und keine Trennwände, alle sind gleich. Aber hinter all dem verbergen sich Spannungen und Schmerzen. Du wirst es nicht glauben, aber ein alter Kibbuzgenosse schrieb in seinem Tagebuch, das man nach seinem Tod entdeckte, er habe sich sein Leben lang als Bürger zweiter Klasse gefühlt, weil er drei Monate nach der Gründergruppe in den Kibbuz gekommen war.«
    »Trotzdem, was sie hier gebaut und gemacht haben, ist schon beneidenswert!«, sagte sie, und dann betrachtete sie mich: »Ziehst du keinen Anzug mit Krawatte an?«
    »Einen Anzug? Im Kibbuz? Weißt du, wie sie eine Krawatte hier nennen? ›Stockfisch‹«, lachte ich.
    »Du bist aber kein Kibbuzmitglied, du bist der Vortragende, der Gast des Abends.«
     
    Draußen leuchteten die roten Blüten der Hibiskusstauden und Mohnblumen auf hohen, zarten Stengeln. Jasmin ergriff meinen Arm und gab mir Sicherheit und ein zartes Gefühl von Zugehörigkeit.
    »Wann gehen wir zu deiner Leiterin?«, fragte sie.
    »Nach dem Essen.«
    Am Eingang zum Speisesaal, der seit meinem letzten Besuch erweitert worden war, verharrte ich etwas betreten. Es war mir unangenehm, ohne die Begleitung von Kibbuzmitgliedern hineinzugehen. Einige nickten höflich mit dem Kopf in meine Richtung, andere traten auf uns zu und drückten uns die Hand, und alle starrten Jasmin an, die aufrecht, elegant und zurückhaltend neben mir stand.
    Der Kibbuz hatte Selbstbedienung eingeführt, was wir zu unserer Zeit nicht kannten, und an diesem Abend wurde ein Festessen
serviert, Huhn, Püree, Rotkohl und Gemüsesalat. Jasmin nahm ein Tablett und benahm sich ganz natürlich. Kein Mensch wäre darauf gekommen, wer sie war, auch nicht Chagi, der sie mit Fragen zu ihren Forschungen bombardierte und sie bat, ihm ein Exemplar ihrer Doktorarbeit zu schicken, ihr ausführlich von seiner eigenen Arbeit erzählte, die er gerade schrieb, und erklärte, er sei bereit, an der Sorbonne Vorträge zu halten.
    Jasmin entpuppte sich als gute Schauspielerin und erzählte ohne einen Funken Verlegenheit, dass ihre Doktorarbeit den Einfluss Nassers auf den israelisch-arabischen Konflikt und die Identität der Araber in Israel zum zentralen

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