Je mehr Löcher, desto weniger Käse
die sich in gleicher oder ähnlicher Weise wiederholen.
Mit Mustern sind hier natürlich nicht nur jene auf Tapeten gemeint, der Begriff muss viel weiter gefasst werden. Wie weit, das hat der britische Mathematiker Walter Warwick Sawyer (1911–2008) bereits 1955 beschrieben. Als mathematisches Muster gilt demnach praktisch jede Art von Regelmäßigkeit, die der Geist erkennen kann. Das Leben und insbesondere geistige Aktivitäten seien nur dadurch möglich, dass es bestimmte Regelmäßigkeiten gebe, erklärte Sawyer: »Ein Vogel erkennt die regelmäßigen gelben und schwarzen Streifen einer Wespe, der Mensch erkannte irgendwann, dass dem Säen von Samen das Wachsen von Pflanzen folgt.«
Die vielen uns umgebenden Muster haben den Menschen schließlich dazu gebracht, Zahlentheorie, Geometrie und Wahrscheinlichkeitsrechnung zu treiben, glaubt Ian Stewart: »Menschlicher Geist und menschliche Kultur haben ein formales Denksystem entwickelt, um Muster erkennen, klassifizieren und ausnutzen zu können«, sagt der englische Mathematiker. »Wir nennen dieses System Mathematik.«
Fast jedes Muster in der Natur stellt sich uns Menschen zunächst als Rätsel dar. Warum treten Zikaden in Nordamerika nur alle 13 oder 17 Jahre massenhaft auf? Wie entstehen die Streifen auf dem Zebrafell? Weshalb kennen wir über sieben Ecken praktisch jeden anderen Menschen auf der Erde?
Die Mathematik hilft uns, diese Muster zu ergründen. Sie macht die Regeln und Strukturen sichtbar, die hinter den beobachteten Mustern und Regelmäßigkeiten stecken.
Dass Muster in der Natur entscheidende Hinweise auf die dafür verantwortlichen Prozesse liefern, illustriert auf wunderbare Weise das Beispiel der Tierfelle. Der britische Mathematiker James Murray wollte mit Gleichungen das Mysterium klären, warum Leoparden gepunktet und Tiger gestreift sind. Er wusste, dass die Verbindung Melanin hinter der Musterung steckt. Die Substanz ist auch für die Haut-, Haar- und Augenfärbung beim Menschen verantwortlich. Unter Sonnenlicht wird sie vermehrt gebildet, unsere Haut bräunt sich.
R eine Mathematik ist Religion. Wer ein mathematisches Buch nicht mit Andacht ergreift und es wie Gottes Wort liest, der versteht es nicht. Alle göttlichen Gesandten müssen Mathematiker sein.
Novalis (Friedrich von Hardenberg, 1772–1801), Schriftsteller und Philosoph
In Murrays mathematischem Modell gibt es in den Hautzellen genau zwei Verbindungen, die als Gegenspieler fungieren. Die eine regt die Melaninproduktion an – die andere hemmt sie. Weil sich die Substanzen unterschiedlich schnell im Körpergewebe verteilen (diffundieren), können sich Regionen herausbilden, in denen der Aktivator die Oberhand hat (Fleck) oder aber der Inhibitor (kein Fleck).
Murray entdeckte bei seinen Computersimulationen, dass die Art des entstehenden Musters von der Größe und Form der Hautfläche abhängt. Bei langen schmalen Flächen bilden sich Streifen, bei kompakteren, eher quadratischen Flächen entstehen Flecken. Allerdings haben Leopard und Tiger einen sehr ähnlichen Körperbau – und dann müssten ihre Fellmuster auch ähnlich sein.
Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Raubkatzen: Im Embryonenstadium, in dem die beschriebenen Diffusionsprozesse ablaufen, sind Tigerbabys lang gestreckt, während Leoparden-Embryos eher rund sind. So kommt es, dass die Tiger Streifen bekommen und die Leoparden Punkte!
Die Gleichungen Murrays lieferten Biologen sogar eine Art Steckbrief, nach welchen chemischen Prozessen sie suchen mussten. Erst war die mathematische Erklärung für das Muster da, danach wurden die tatsächlichen Abläufe in der Haut genauer untersucht.
Mathe enthüllt Skelette
Ganz ähnlich hat sich auch die moderne Physik entwickelt. Beispiel: Elementarteilchen. Vor etwa 40 Jahren wurde das Standardmodell der Teilchenphysik in der heutigen Form formuliert. Es beschreibt mit Gleichungen die Elementarteilchen und die Kräfte, die zwischen ihnen möglich sind. Das Standardmodell sagte auch die Existenz sogenannter Quarks voraus – ein Proton besteht demnach aus insgesamt drei Quarks. Und tatsächlich entdeckten Physiker diese bizarren Elementarteilchen später. Zuerst war die mathematische Theorie da – dann ihr experimenteller Nachweis.
Warum aber verwenden Mathematiker eine so seltsame Sprache – zumindest in ihren Büchern? Die Summenzeichen, Integrale und Wurzelzeichen, vor denen mancher zurückschreckt, sind letztlich nichts anderes als
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