Je mehr Löcher, desto weniger Käse
die Noten, mit denen Musiker ihre Ideen aufschreiben. Der Musiker kann die Noten lesen, er kann sich sogar ihren Klang vorstellen. Der Mathematiker erkennt in den abstrakten Symbolen Ideen und eben auch jene Muster wieder, die er beschreiben will. Letztlich handelt es sich bei den Formalismen um eine spezielle Sprache, mit der sich mathematische Beschreibungen und Ideen oder eben Melodien besonders leicht und kompakt formulieren lassen.
Für die mit abstrakten Symbolen beschriebenen Muster hat der britische Mathematiker Keith Devlin einen treffenden Vergleich gefunden: Man könne sie sich als »eine Art Skelett aller Dinge und Erscheinungen unserer Welt vorstellen«.
Was meint Devlin damit? Wenn es um Dreiecke geht, dann kommt es in der Regel nicht auf ihre Farbe an – und auch nicht auf ihre Größe. Entscheidend ist allein das rein abstrakte Grundgerüst, also zum Beispiel, ob das Dreieck gleichseitig ist, rechtwinklig oder gleichschenklig. Das Skelett einer Blume kann für einen Mathematiker in der Symmetrie ihres Blütenaufbaus bestehen.
Die Beschreibung der Mathematik als Wissenschaft der Muster ist mittlerweile weithin akzeptiert. Erstaunlich ist jedoch, dass die Mathematik aus so vielen verschiedenen Teilgebieten besteht, bei denen kaum erkennbar ist, ob und wie sie miteinander zusammenhängen. Denken Sie zum Beispiel an die Zahlentheorie und an die Geometrie. Oder die Wahrscheinlichkeitsrechnung und die Topologie.
In der Topologie geht es um die verallgemeinerten Strukturen von Objekten, die sich auch durch Verformungen nicht ändern. Eine Tasse unterscheidet sich demnach zum Beispiel nicht von einem Donut – beide haben ein Loch. Beim Donut sieht man das Loch sofort, bei der Tasse wird es vom Henkel gebildet. Die Becherform der Tasse ist aus topologischer Sicht irrelevant, dabei handelt es sich quasi um eine platt gedrückte und anschließend zum Becher geformte Donut-Ecke.
Für den Laien sind Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Teilgebieten der Mathematik nur schwer erkennbar – aber es gibt sie. Mitunter haben Mathematiker so etwas wie Metatheorien entwickelt, zum Beispiel die Gruppentheorie, um Arithmetik und Geometrie auf einer höheren, abstrakteren Ebene zusammenzubringen.
Ursprünglich war die Gruppentheorie dazu da, die Rechenoperationen mit Zahlen zu verallgemeinern. So gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen dem Addieren und Multiplizieren. Beide Operationen sind beispielsweise kommutativ, das heißt, zwei Elemente können bei einer Operation problemlos vertauscht werden: a + b = b + a und a × b = b × a.
Beim Addieren und Multiplizieren existiert zudem ein sogenanntes neutrales Element. Das bedeutet, ich kann eine Zahl nehmen und zu dieser das neutrale Element hinzuaddieren oder die Zahl damit multiplizieren – das Ergebnis wird in beiden Fällen die Ursprungszahl sein. Bei der Addition ist die Null das neutrale Element (8 + 0 = 8), bei der Multiplikation ist es die Eins (8 × 1 = 8).
Plus mal Drehung
In der Geometrie kann ich nicht so gut plus oder mal rechnen, aber dafür zum Beispiel ein regelmäßiges Sechseck drehen – und zwar so, dass das Sechseck auf sich selbst abgebildet wird. Das geschieht etwa bei Drehungen um 60 und 120 Grad. Die Menge dieser Drehungen bildet ebenfalls eine Gruppe. Auch hier gilt das Kommutativgesetz: Wenn ich ein Sechseck zweimal nacheinander drehe, dann ist es egal, welche der beiden Drehungen ich zuerst ausführe. Auf abstrakter Ebene existieren also Parallelen zwischen Addition und Drehung – also Arithmetik und Geometrie.
Es gibt eine sehr schöne Analogie von Ian Stewart zur Beschreibung der vielen mathematischen Teilgebiete. Die Mathematik ist demnach eine Landschaft, durch die wir uns bewegen können. Als Laie kennen wir nur einige wenige Bereiche, der Mathematiker kann sich in der Landschaft freier bewegen und auch Gipfel erklimmen, die eine wunderbare Aussicht bieten. Von oben fügen sich die einzelnen Teile der Landschaft zu einem Gesamtbild.
Der Laie wandelt auf den ausgetretenen, leicht zugänglichen Pfaden des mathematischen Territoriums. Ihm fehlt der Blick auf das Ganze, er kann nicht mal durch das Dickicht rechts und links des Weges blicken. Der mathematischSchöpferische wagt sich in unbekannte und mysteriöse Gebiete vor, fertigt Landkarten an und baut Straßen durch sie hindurch, um sie für alle leichter zugänglich zu machen. So wird der Mathematiker quasi zum
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