Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
schon, du willst mir gar nicht weiterhelfen!«
Ich lasse meine Frau Margie los, renne hoch in den ersten Stock. Ins Zimmer meines Drittältesten. »Luke!«, keuche ich tief und außer Atem vom zu schnellen Hochrennen. »Luke – ich – bin – dein – Vater! Schnell, hilf mir: Über was könnte ich in meinem Buch noch schreiben?«
»Dad, du musst unbedingt darüber schreiben, wie der turbokapitalistische Konsumapparat uns alle erdrückt! Es muss endlich mal jemand die Eier haben, die Wahrheiten gegen das menschenverachtende, kapitalistische Ausbeutersystem auszusprechen!«
»Luke, das wird ein Buch übers Altwerden ! Und nebenbei, dein topmodisches Che-Guevara-Shirt für fünfunddreißig Euro plus Porto hab ich bezahlt.«
Ich merke: Luke kann mir jetzt auch nicht weiterhelfen. Ich laufe weiter ins Zimmer direkt nebenan. Mein Fünfzehnjähriger sitzt wie immer vor dem Rechner.
»Liam, Liam! Du geniegewordener Saft meiner Lenden, erweise deinem alten Herren Respekt: Ich brauch dringend noch sechs Seiten für mein Buch übers Altwerden!«
»Kein Problem, Dad!« Mein Sohn schnappt sich das Computerkeyboard, seine Finger fliegen in Lichtgeschwindigkeit über die Tasten. »Se-nio-ren-wit-ze … 354000 Einträge! Reicht das für deine sechs Seiten? Frag nicht mich . Du hast schon meine hochpoetische Liebeserklärung aus dem 363er-Bus verwurstet und unseren Kinobesuch von damals. Sei froh, wenn ich dir keine Rechnung schicke!«
Das Vorlaute haben meine Kinder von der Mutter, gar kein Zweifel.
Jeremy verschwindet im Bad, bevor ich ihn erwischen kann. Ich renne runter. Im Flur begegne ich der Oma.
»Bill, was schreist du denn so?«, fragt sie mich. »Da platzt einem ja das Hörgerät!«
»Sorry, Oma, ich hab meine Söhne gesucht. Ich brauche noch sechs Seiten für mein Buch!«
»Ich kann dir ein Vorwort schreiben!«, schlägt die Oma spontan vor. Ein Hoffnungsschimmer erhellt die Kalksteinhöhle in meinem Kopf. »Ehrlich? Das würdest du tun?«
»Aber sicher, Bill. Für dich tue ich doch alles! Ich sag aber gleich: Ich hab viiiiiel zu erzählen aus meinem Leben. Sechs Seiten reichen da definitiv nicht aus!«
»Ähm … okay. Wie viele brauchst du denn?«
»Lass mich überlegen: meine Geburt, die erste Liebe, der Krieg, die Geburt meiner Tochter Margie, Margies Hochzeit mit diesem komischen Kanadier, diese erotische Verwechslung, als dessen Augen schlechter wurden … Tja, ich sag mal grob: so circa 312 Seiten.«
»Wie bitte?!?!? Dann bleiben nur noch sechs für mich !«
»Na, anscheinend hast du ja Schwierigkeiten, selbst die vollzukriegen, sonst würdest du hier nicht so aufgescheucht rumlaufen. Das musst du dir schon überlegen. Mein Angebot steht!«
Da gibt es nicht viel zu überlegen: Ich schlage das Angebot der Oma aus und renne aus der Haustür hinaus zum Auto. Meine stets hilfsbereite Nachbarin Antje sieht mich beim Heckenschneiden zum Auto stolpern.
»Hey, Bill, wo brennt’s?«
»Sechs Seiten!«
»Hä?«
»Brauche sechs Seiten!«
»Ich schau bei uns im Schuppen, ob wir welche haben!«, ruft sie noch rüber. Aber ich springe bereits in mein Auto und fahre los.
Wenige Minuten später klingele ich Sturm bei meinem besten Boulefreund Friedhelm, dem Sicherheitsfanatiker. Als Friedhelm nach fünf Sekunden immer noch nicht öffnet, hämmere ich mit beiden Fäusten dagegen. Plötzlich höre ich von innen dumpf seine misstrauische Stimme.
»Wer ist da?«
»Bill!«
»Welcher Bill? Ich kenne keinen Bill.«
» Natürlich kennst du einen Bill!«
»Okay, das war nur eine Fangfrage. Wie lautet das Codewort?«
»Dein Geburtstag: 25. April, du alter paranoider Sack! Jetzt mach schon auf!«
Ich höre von innen Friedhelms diverse Schlösser und Sicherheitsketten klicken und klappern. Als die Tür aufgeht, falle ich ihm fast in die Arme.
»Mir fehlen sechs Seiten«, stammele ich verstört.
»Bill. Was … Was ist los?«
»Sechs Seiten! Sechs Seiten! Sechs Seiten! Sechs Seiten! Sechs Sei …«
»Jetzt komm erst mal rein«, bittet Friedhelm mich in sein Haus. Er setzt mir einen Kaffee auf, während ich springende Schellackplatte ihm die Lage erkläre.
»Hast du denn unsere Boulegeschichten schon drin?«, fragt er mich.
»Natürlich!«, antworte ich. »Die sind dabei.«
»Und du hast dich wahrscheinlich wieder als besten Spieler dargestellt, was?«
»Friedhelm, bei allem Respekt: Das wird kein Roman, das ist ein Sachbuch! Ich muss mich schon an die Fakten halten – und die lauten eben:
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