Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
vehement das letzte verbleibende Zimmer. Es gab keinen Ausweg: Edgar musste wohl oder übel ins Heim. Nach kurzer Suche fand er einen Platz in der Seniorenresidenz »Zum rauchenden Schlot«.
Als er zum letzten Mal in den Briefkasten seiner Wohnung schaute, fand er einen bunten Werbezettel: »Auf eigenem Balkon durch das Mittelmeer – für nur 55 Euro am Tag!«
Es ratterte in Edgars Kopf. Klar, das war es! 55 Euro am Tag, macht 1500 Euro im Monat. Der Pflegeplatz im Heim kostet 200 Euro am Tag, also locker 6000 Euro im Monat. Was will ich? Ein Klappbett in einer Besenkammer oder Sonne, Meer und hübsche Mädels? Haferbrei oder Captain’s-Dinner? Volksmusik im Fernsehraum oder Disco bis tief in die Nacht?
Eine Woche später war er tatsächlich an Bord seines Traumschiffes, und seitdem schippert er fröhlich über das Mittelmeer – und spart dabei auch noch jeden Monat 4500 Euro. Nach Abzug der Zigaretten bleiben immer noch fast 2000 Euro Taschengeld. Und das Geld trägt er regelmäßig ins Spielcasino. Edgar, der Schmöker im Smoking! Das Schiff, mit dem er gerade unterwegs ist, kann man schon von weitem sehr gut erkennen: Es hat drei Schornsteine, aber vier Rauchfahnen. Er kommt aber immer noch regelmäßig an Land, um mit uns Boule zu spielen.
Der letzte im Boulebunde ist Beppo Sterzenbach. Er ist vierundachtzig Jahre alt, seit sechzig Jahren verheiratet und ein echter, bayrischer Grantler. Beppo ist nur glücklich, wenn er unglücklich ist. Das wäre ja nicht weiter schlimm, aber er liebt es, anderen Menschen das Leben schwerzumachen. Seine Nachbarn sind inzwischen allesamt vorbestraft. Beppo hat sie alle verklagt und kennt keine Gnade: Zur falschen Uhrzeit Rasen gemäht, Autowaschen am Sonntag, den Gehweg erst nach sechs Uhr morgens vom Schnee befreit – Beppo kennt jeden Paragraphen auswendig. Die Nachbarn atmen befreit auf, wenn Beppo in den Urlaub fährt. Doch auch im Urlaub hört er nicht auf. Neulich hat er in der Bibliothek in Endenich einen Dia-Vortrag gehalten: »Die schönsten Reisemängel aus dreißig Jahren.«
Beppo, Friedhelm, Edgar und Robert – Hans und ich. Eine herrliche Truppe. Jeder hat eine echte Macke. Was die anderen wohl über mich reden? Ich möchte es gar nicht wissen …
Bei einem sind wir uns allerdings sehr einig: Boule ist verdammt nochmal nicht lustig! Natürlich ist und bleibt Boule einfach nur ein Spiel, aber nicht, wenn alte Knacker zur Höchstform auflaufen. Da wird jeder Wurf ausdiskutiert. Robert ist darin ganz groß: »Bill, wenn du nicht werfen kannst, warum fängst du dann an?«
»Ich kann werfen! Aber der Boden ist da vorne, wo das Schweinchen liegt, hart wie Granit, obwohl es gestern zwanzig Liter geregnet hat!«
Da schaltet sich Friedhelm ein: »Zweiundzwanzig Liter, Bill, es waren genau zweiundzwanzig Liter. Pro Quadratmeter, versteht sich!«
Robert lässt sich nicht ablenken. Er ist nicht mehr der beste Werfer, aber fehlende Seh- und Wurfkraft macht er locker durch seine Erfahrung wett. »Bill, wenn du jetzt legen willst, musst du sanft werfen, sonst springt dir die Kugel weg wie ein Gummiball.«
Ich lege den nächsten Wurf sanft an. Die Stahlkugel verlässt meine Hand wie ein Schmetterling auf Brautschau und – matsch – bleibt in der einzigen, richtig sumpfigen Stelle des Platzes liegen. Ein Trauerspiel.
»CHUARRR-ÄRRRCCHHHT-CHUAAAAAARRR!«
»Nein, die Stelle habe ich nicht gesehen!«, antworte ich Edgar.
»Da muss die Stadt doch streuen oder sonst was unternehmen. Da kann man übel ausrutschen, das zahlt keine Versicherung!«, merkt der besorgte Friedhelm an.
Robert wird hingegen richtig ungehalten: »Sooo sanft auch wieder nicht! Die Kugel ist ja geflogen wie eine besoffene Motte. Mann! Mann! Mann!«
Edgar ist dran. Hochkonzentriert geht er in die Hocke.
»Du siehst aus wie meine Frau beim Pinkeln«, kommentiert Beppo die Szene.
»CHUARR-CHUARR-CHUAAAARRR!«
»So lustig ist das auch nicht!«, erwidert Beppo. »Du hast meine Frau noch nicht dabei gesehen.«
Edgar benutzt eine andere Technik als ich. Er wirft die Kugel im hohen Bogen, sie prallt gegen den tief hängenden Ast des Baumes, der neben dem Bouleplatz steht, und – matsch – bleibt direkt neben meiner Kugel liegen.
Was jetzt passiert, kann ich nur in Wortfetzen wiedergeben:
»Bills Kugel ist näher dran … Nein, Edgars. Das sieht doch jedes Kind. Wann warst zu denn das letzte Mal beim Augenarzt? … CHUARRR! … Nicht mit der Schnur messen, das ist viel zu
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