Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
eineinhalb Jahrzehnten kann und möchte ich mir meine Stimmung nicht mehr von meiner Pumpe diktieren lassen. Wenn mein Herz schon falsch hüpft, dann bitte nicht aus Angst, sondern vor Freude!
Und jetzt lege ich »Jumpin’ Jack Flash« von den Stones auf und drehe voll auf.
34.
Easy Raser
Wissen Sie, wo ich meinen Gedanken so richtig freien Lauf lassen kann? Am Steuer meines Autos, bei stundenlangen Fahrten auf der Autobahn – in Kanada . Im Land der endlosen Weiten rolle ich über den Highway, vorbei an Wäldern, Seen und saftigen Wiesen. Den Tempomat auf achtzig Meilen pro Stunde, Fuß vom Gaspedal, aus dem Radio strömt süßlicher Easy-Listening-Jazz, ab und an einem Elch ausweichen – das nennt man Cruising.
In Deutschland ist das leider nicht möglich. Auf deutschen Autobahnen herrscht Krieg. Crashing statt Cruising. PKW gegen LKW, Mercedes gegen BMW, Deutschland gegen Holland. Und wir Senioren geraten ständig zwischen die Fronten – manchmal sogar unschuldig.
Während ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich im Stop-and-Go-Modus auf der A1 Richtung Köln. Moment, jetzt geht es gerade weiter … Ich fahre in den Sonnenuntergang, allerdings nicht vorbei an Wäldern und Seen, sondern an Lärmschutzwänden und qualmenden LKWs aus Lettland. Vor mir geht die Sonne unter, hinter mir geht die Sonne auf. Ach nee, das sind sogar zwei Sonnen: Die Lichthupe meines Hintermanns ist im Dauerbetrieb.
Ich fahre brav auf die rechte Spur und lasse meinen Hintermann vorbei. Der schert knapp vor mir ein, um mir zu zeigen: »Rechts, Opa, rechts ist deine Spur! Und dort bleibst du gefälligst bis zur nächsten Ausfahrt!«
Mein ehemaliger Hintermann fährt einen dunkelblauen Ford ( Herstellername von der Redaktion geändert ). Der Wagen ist tiefergelegt, aus den Kotflügeln quellen Reifen, die für das Auto, nicht nur optisch, viel zu breit sind. Das sieht echt kacke aus. Daher kommt wahrscheinlich auch der Begriff »Kotflügel«.
Die Heckscheibe ist mit dunkler Folie beklebt und durch unfachmännische Anbringung mit Hunderten von Luftblasen verziert. Fachbegriff für diese Art des Autoscheiben-Tunings: Fi**folie. ( Entschuldigung, aber ich habe mir diesen Begriff nicht ausgedacht. Ehrlich nicht! )
Eben hat mich mein Hintermann durch sein Gedrängel noch geärgert, jetzt beginnt er mir ein bisschen leid zu tun. Leider kann ich durch die getönten Scheiben den Fahrer nicht erkennen, aber seine Fahrweise und das Styling seines total verbastelten Automobils lassen darauf schließen, dass er den Vorgang, den die dunkle Folie eigentlich verbergen soll, noch nie erleben durfte. Zumindest nicht mit einer Partnerin.
Mein Mitleid schrumpft deutlich, als ich den Aufkleber entdecke, der vom Autodesigner quer über die zufolierte Heckscheibe getackert wurde:
B Ö H S E O N K E L Z
Aua! Ich habe viel Humor und versuche in allen Menschen, die mir begegnen, das Gute zu sehen. Mein Vordermann hat es diesbezüglich nun schwer. Ich werde, wenn ich aus diesem verdammten Stau jemals lebendig rauskomme, zu einer kleinen Werbeagentur in Bonn-Endenich fahren und einen großen Aufkleber in Auftrag geben:
B Ö H S E O P A Z
Und den lasse ich auf meine Heckscheibe kleben! Fachmännisch, ohne Luftblasen.
Äääh, einen Augenblick, es rollt wieder … In diesem Moment überkommt es mich. Ich setze den Blinker links und trete das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Wie ein geölter Blitz schieße ich auf die linke Spur und an meinem Ex-Vordermann vorbei.
Ha, nimm dies! Der kleine Selbstbefriediger ( Schimpfwort von der Redaktion geändert ) hat vielleicht eine gepimpte Karre, aber Opa hat mehr Pferdestärken! Und die Pferdeherde ist Opa gerade durchgegangen. Nimm es einfach hin, Bubi: Die Senioren von heute haben die Kohle, und immer weniger von uns haben wirklich Lust darauf, die zu vererben. Vor allem nicht an blöde Onkels wie dich!
Das hat auch die Autoindustrie bemerkt – also das mit den Senioren und der Kohle. Vorbei sind die Zeiten, in denen man Senioren im Straßenverkehr schon von weitem erkennen konnte, an dem kleinen Schild am Kofferraumdeckel: »OPEL«! Nur echt mit der serienmäßigen Innenausstattung: Cordhut, Wackeldackel, umhäkelte Toilettenpapierrolle, Kissen mit Bezug in den Trendfarben »Schwarz, Rot und Gold«, Christophorus-Plakette am Handschuhfach.
Wie gesagt: Vorbei sind die Zeiten. Der heutige Senior trägt eine modische Baseballkappe im Porschedesign, und wenn etwas im Auto wackelt, ist das
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