Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
Da sollte meine Familie sich für mich mal reinhängen. Ich war schließlich heute hier das Ehrenkind. Wenn auch das zugegeben ziemlich alte, graue Ehrenkind.
»Gut, dann macht mal …«
Ich ließ meiner Familie freien Lauf – und sie nutzte es: Überall fingen meine Frau und meine Söhne an, die kleinen Kuchenkerzchen aus der Vorratspackung (wohlgemerkt: Vorratspackung für normale Geburtstage – bei mir war die sofort alle) zu stecken. Als die Fläche oben auf dem Kuchen hoffnungslos überfüllt war, dichter besiedelt mit Kerzen als Monaco mit Superreichen, mussten die Seiten ausgenutzt werden. Der Kuchen sah inzwischen aus wie ein genmutierter Igel. Dennoch waren erst achtundzwanzig Kerzen drauf – meine Güte, mein achtundzwanzigster Geburtstag! Der war so ewig lange her, ich konnte nicht mal mehr sicher sagen, ob es damals überhaupt schon Kuchenkerzen gab. Es fehlten jetzt auf jeden Fall noch eine Menge dieser bunten Wachsstäbchen.
Mein Sohn Luki kickte ein paar Smarties weg, da passten dann mit viel Mühe, Not und Geschick noch mal vier Kerzen drauf. Ravensburger würde aus unserer Aktion direkt ein lustiges Familienspiel machen. Nun aber waren wir immerhin schon bei zweiunddreißig. Mein zweiunddreißigster Geburtstag – auch der lag schon so lange zurück, dass ich mich fast fragte, ob das angesichts des geschätzten Alters der Erde rein rechnerisch überhaupt hinkommt.
Diese Kerzenaktion, die mir eigentlich Freude bereiten sollte, machte mich langsam, aber sicher immer depressiver. Aber ich musste mich zusammenreißen, für schwere Gedanken war keine Zeit – wir hatten schließlich noch ganze achtzehn Kerzen zu positionieren! Teo, mein Zweitältester, hat dann einen schon steinharten Streuselkuchen im Kühlschrank gefunden, der wurde an den eigentlichen Geburtstagskuchen kurzerhand angebaut. Da passten dann noch mal – nach Anfertigung der Löcher mit meiner Schlagbohrmaschine – weitere zwölf Kerzen drauf.
Blieben noch sechs. Verdammt. Ich hatte innerlich schon aufgegeben, tatsächlich fünfzig Kerzen auf meinem schönen Geburtstagskuchen brennen zu sehen, da opferte Jeremy – und das fand ich rührend! – zwei Yes-Törtchen, die er noch ganz hinten unter seinem Bett gefunden hatte. So kamen drei Kerzen auf jedes von den beiden Dingern – und voilà, mein Geburtstagskuchen mit fünfzig rasch angezündeten Kerzen war fertig!
Und er war schön, einfach wunderschön. Nur in den Garten gehen durften wir damit aus Vorsichtsgründen nicht – die Piloten würden sonst garantiert glauben, hier sei ein Landeplatz.
»AUS-BLA-SEN! AUS-BLA-SEN! AUS-BLA-SEN!«, feuerte mich meine Familie an. Ich beugte mich über den Kuchen, holte tief Luft. Ich füllte meine Lungen mit jedem Molekül, das ich kriegen konnte. Das war mal eine echte Herausforderung für einen echten Mann wie mich. Dann fing ich an zu pusten. Ich pustete um mein Leben. Meine Familie würde später berichten, dass sie sich noch nichts dabei gedacht hatte, als sich mein Gesicht von einem gesund schimmernden Rosa über ein kräftig leuchtendes Rot bis hin zu tiefstem Lila verfärbte. Als ich bald darauf ganz komische Geräusche zwischen Darth Vader und schwerem Asthmaanfall erzeugte, machte sie sich dann doch langsam Sorgen. Doch ich pustete weiter. Ich pustete und pustete und pustete.
Schon fünf Minuten später wachte ich aus der Bewusstlosigkeit wieder auf. Das Erste, was ich sah: Eine einzige Kerze auf dem Yes-Törtchen brannte noch. Verdammt!
Das zweite einschneidende Erlebnis an meinem fünfzigsten Geburtstag war das Geschenk meiner Frau: Sie überreichte mir an diesem besonderen Tag ein ebenso besonderes T-Shirt. Eines mit ganz persönlicher Botschaft. Nicht etwa so ein Ding wie »Ich wurde 50, und alles, was ich gekriegt habe, war dieses lausige Shirt.« Nein, viel besser. Als meine Frau mir das XXL-Stück Stoff überreichte, betrachtete ich gerührt den liebevoll im Copy-Shop um die Ecke angefertigten Aufdruck auf der Vorderseite:
Toll. Fand ich wirklich großartig. Überwältigt von Dankbarkeit, mit welch einer großartigen Frau ich Glückspilz mein Leben verbringen durfte, nahm ich sie fest in den Arm.
»Bill, nicht … so … fest … ich … krieg … keine … Luft … mehr …«
Huch. Das wollte ich nicht. Schnell ließ ich locker und streifte stattdessen das T-Shirt über. Passte perfekt. Das würde ich nie wieder ausziehen. Selbst wenn ich irgendwann roch wie der schmuddelige Pig Pen aus den
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