Je sueßer das Leben
noch, strafft dabei aber die Schultern, wie sie merkt, die körpersprachliche Entsprechung zum Lüpfen des Huts. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Einen schönen Tag noch, Ma’am.«
Ma’am . Bei dem Wort zuckt sie innerlich zusammen. Muss sie mit ihren achtundzwanzig Jahren Ma’am genannt werden, nur weil sie verheiratet ist?
Sie sieht ihm nicht nach, sondern schließt mit einem höflichen Lächeln die Tür. Plötzlich ist es wieder still im Haus, die weiße Wandverkleidung in Habachtstellung, als sie den Flur hinunter zum Musikzimmer geht.
Das Musikzimmer ist ein Wintergarten, in den kaum Sonne fällt wegen der riesigen Eiche im Garten davor, aber das stört sie nicht. Drei Seiten des kleinen Raums sind verglast, und man hat von hier einen wunderbaren Blick ins Grüne. Hannahs Cello lehnt in seinem Ständer, und an der Wand hängen fein säuberlich gerahmt in einer geraden Linie Fotos von Konzerten und überschwängliche Kritiken.
Alles in ihrem Haus ist fein säuberlich geordnet. Philippe braucht das, alles muss exakt ausgerichtet sein, selbst die Post auf der Kommode in der Diele. In der Schublade liegt ordentlich sortiert das Besteck, die Löffel aneinandergeschmiegt, die Gabelzinken poliert, die Messer mit der Schneide nach unten, alles in Reih und Glied. Die Dosen in der Speisekammer sind mit den Etiketten nach vorne ausgerichtet, die Vorräte an Risotto in verschiedenen Geschmacksrichtungen alphabetisch geordnet. Von einer Sache kann Philippe gar nicht genug haben, und das sind Rührschüsseln, von denen sie sicher zehn Sets besitzen. Er kann sich immer wieder darüber begeistern, wie hübsch sie ineinanderpassen, eine in die andere.
»Genau wie wir«, sagte er immer. Sie weiß, dass ihn ihre, wie er es nannte, »angeborene Präzision« seit jeher anzog. Er erkennt sie in ihrem Körper, ihrem Talent, selbst in ihrem Gang. »Du gleitest«, sagte er immer mit seinem schweren Akzent und unverkennbarer Lust in der Stimme, während er sie aus ihren Kleidern schälte und ungeduldig die Knöpfe an ihrer Bluse öffnete. Nichts erregt Philippe mehr als Perfektion oder zumindest die Illusion davon.
Und jetzt …? Hannah betrachtet sich in dem geliebten alten Spiegel, ein Fundstück aus einem Trödelladen in Brooklyn. Philippe wollte nicht, dass sie ihn mit in ihre Wohnung in New York oder die in Chicago nahm, war aber sofort damit einverstanden, ihn in dem Haus in Avalon aufzuhängen. Zuerst hatte sie neue Hoffnung gefasst, dass ihre Ehe nach vier Jahren doch noch nicht zu Ende war, dass Philippe bereit war, auch die Seiten von Hannah zu akzeptieren, die nichts mit Musik und Schönheit zu tun hatten. Aber kaum war Weihnachten vorbei, war er wieder verschwunden.
Sie fährt sich durch ihre glatten schulterlangen Haare. Langweilig , scheint ihr Spiegelbild sagen zu wollen. Andere Musikerinnen haben ihr gesagt, dass sie sie um ihre seidigen schwarzen Haare beneiden, darum, wie glatt und glänzend sie sind, wie elegant der Nackenknoten aussieht, wenn sie spielt. Wie praktisch es sein muss, so wenig widerspenstige Haare zu haben! Sie rechnen es ihren chinesischen Genen zu, aber Hannah weiß es besser. Ihre Haare sind von Natur aus eigentlich gewellt und stehen in alle Richtungen ab, wenn man sie lässt. Früher suchte sie regelmäßig einen Friseursalon in New Jersey auf, bis sie auch in Chicagos Chinatown einen fand, in dem sie sich heimlich die Haare glätten ließ. Selbst Philippe weiß nichts davon. Sie wollte es ihm immer sagen, aber jetzt ist es zu spät – es wäre nur ein weiterer Grund für ihn, sie nicht mehr zu lieben.
Das Telefon klingelt. Hannah wartet ängstlich auf das dritte Klingeln, bevor sie drangeht, noch eine von Philippes Regeln.
»Hallo?«
»Hallo, Hannah.«
Ihr Herz zieht sich beim Klang seiner Stimme zusammen. Sie umklammert den Hörer mit beiden Händen. »Philippe, wo bist du? Bist du in der Wohnung?«
»Das ist doch egal.« Durch seinen französischen Akzent klingt alles, was er sagt, klug und romantisch, völlig egal, was es ist. »Ich rufe nur an, um dir sagen, dass ich einen Umzugswagen schicke, der meine Sachen holt. Die Männer haben einen Schlüssel. Du musst also nicht da sein, das wäre vielleicht sogar besser.« Er redet immer weiter, erzählt irgendetwas von einer Liste, auf der steht, was eingepackt und mitgenommen werden soll, aber Hannah steht unter Schock und bekommt nichts davon mit.
»Komm doch nach Hause, und wir reden über alles, Philippe«, bittet sie ihn.
Vom
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