Je sueßer das Leben
da. Musik und sonst nichts.
Der übernächste Tag kommt. Hannah wacht im ersten Morgengrauen auf, sie fühlt sich schrecklich, alles tut ihr weh. Dann fällt ihr wieder ein, dass die Umzugsleute um zehn Uhr kommen. Sie hat nur noch ein paar Stunden.
Sie arbeitet ohne Pause, schon bald fängt sie an zu schwitzen, die schwarzen Haare mit einem Tuch aus dem Gesicht gebunden. Ihr Kopf ist völlig leer, sie ist unfähig, auch nur einen Gedanken zu fassen, aber glücklicherweise ist ihr Körper daran gewöhnt, auch dann zu funktionieren, wenn ihr Verstand nicht mehr kann.
Um Viertel vor zehn nimmt Hannah das Tuch ab und holt tief Luft. Sie schnappt sich ihre Tasche und hängt sie sich über die Schulter, dann geht sie nach draußen und schließt die Haustür hinter sich. Sie nimmt den neuen Schlüssel und steckt ihn in das Schloss, das sie gestern hat einbauen lassen. Dann steigt sie vorsichtig über Philippes Sachen, die ordentlich in Kartons verpackt vor der Tür stehen, und geht den Bürgersteig hinunter.
Kapitel 4
Madeline Davis kann sich selbst nicht erklären, was ihr so sehr an Avalon gefällt. Nach all den Jahren war klar, dass Chicago für ihre alten Knochen zu kalt ist, und das liegt nicht nur am Klima, sondern auch an den Leuten. Sie hat sich ohnehin nie als Chicagoerin verstanden, und ohne Steven hatte sie plötzlich das Gefühl, heimatlos zu sein.
Sie war rein zufällig hier durchgefahren – es war nicht geplant. Aber als sie das Willkommensschild sah und die mit Hartriegel und Kastanienbäumen gesäumten breiten Straßen, dachte sie, hier könnte sie leben. Und ehe sie sich’s versah, hatte sie ihre Unterschrift unter den Vertrag gesetzt.
Madeline legt einige Zitronen-Scones auf die Tortenplatte und deckt sie mit der Glashaube ab. Steven liebte ihre Scones, besonders die mit Schokoladenstückchen. Sie vermisst ihn nach wie vor, auch wenn er schon zwanzig Jahre tot ist.
Sie trocknet ihre Hände an der Schürze und sieht sich in dem verwaisten Teesalon um. Wie sehr sie sich wünscht, mehr Gäste zu haben! Madelines Teesalon . Bescheiden war das nicht gerade. Sie hatte keinen Businessplan, wusste nicht einmal genau, was sie da tat. Die ganze Idee war im Grunde aus dem entstanden, was sie vorfand – ein herrschaftliches, gelb-weiß gestrichenes viktorianisches Haus aus dem Jahr 1886, das ein wohlhabender Eierhändler gebaut hatte. Zuletzt war es ein Bed & Breakfast gewesen. Der Garten war in gutem Zustand, da die vorherigen Besitzer begeisterte Gärtner gewesen waren. Es gab Gemüsebeete, ein Kräuterbeet mit Basilikum, Rosmarin, Thymian und Minze, dazu viele bunte Blumen und schattenspendende Bäume.
Madeline mag die großzügigen Räume, von denen jeder einen Namen und eine ganz eigene Atmosphäre hat, die große Küche und den Wintergarten, den riesigen Keller und das Wohnzimmer mit dem Essbereich. Das Haus bot auch einige Überraschungen – einen chinesischen Schrank und einen Kartoffelkeller im Garten –, was es für den normalen Interessenten ein wenig zu ausgefallen machte, aber für jemanden wie Madeline gerade richtig. Das Haus, der Garten, ach, eigentlich alles war zu groß für sie, aber man konnte so viel damit anstellen, dass Madeline es mit ihren letzten Ersparnissen kurzerhand gekauft hatte.
Der Teesalon ist nun schon seit sechs Monaten eröffnet, aber nur gelegentlich schauen ein paar Touristen herein, die zufällig daran vorbeifahren. Die Einheimischen betrachten sie mit Argwohn und halten in Zeiten der Krise ihr Geld zusammen. Trotz all ihrer Bemühungen ist sie immer noch eine Außenstehende. Vielleicht ist sie ja einer fixen Idee aufgesessen. Wozu braucht eine Kleinstadt wie Avalon einen Teesalon?
Madeline schüttelt den Kopf und poliert zum x-ten Mal die Teetassen. Warum kann sie einfach nicht so sein wie andere Leute ihres Alters und sich damit zufriedengeben, auf der faulen Haut zu liegen, Bridge zu spielen und tagsüber fernzusehen? Die Umtriebigeren unter ihren Altersgenossen bekleiden irgendwelche Ehrenämter, treffen sich zum Mittagessen, gehen ins Theater und erzählen sich stundenlang von ihren Enkeln, die Madeline nicht hat. Genau genommen hat sie niemanden. Zumindest fühlt sie sich so. Und das ist schon lange, lange Zeit so.
Sie versucht, nicht allzu überrascht auszusehen, als das Glöckchen über der Tür bimmelt und eine Frau mit rotblonden Haaren und einer großen Tasche hereinkommt.
»Gibt es hier auch etwas zu essen?«, fragt die Frau.
Madeline nickt und
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