Je sueßer das Leben
immer hier gelebt. Sie sind in Avalon geboren und aufgewachsen und sind zufrieden, mehr noch, sie sind stolz auf ihre Stadt, stolz, hier zu leben, und stolz auf das, wodurch Avalon in den letzten Monaten bekannt geworden ist.
Freundschaft. Familie. Gemeinschaft. Und all das dank eines einzelnen Beutels mit dem Teig für das Freundschaftsbrot der Amish.
Wenn man »Freundschaftsbrot der Amish« googelt, muss man sich darauf gefasst machen, Lektüre für eine Woche zu haben. Es ist ein Stück amerikanischer Geschichte, ein essbarer Kettenbrief, der die Leute sowohl hoffen als auch verzweifeln lässt. Aber für die Familien in Barrett und Avalon ist es schnell zum Inbegriff dessen geworden, was Menschen – und Städte – zusammenbringt.
Nachbarn, die sich bekriegen, beispielsweise. Martin Colon und Lester und Marsha Padilla sind seit sechzehn Jahren Nachbarn. Die Kinder sind gemeinsam aufgewachsen. Wie oft haben sie im Sommer abends im Garten zusammengesessen und ein Glas Bier oder Wein getrunken. Bis sich vor zwei Jahren das Haus der Padillas senkte, nachdem die vier Meter hohe Glyzinie von Martin Colon das Fundament und die Abflussrohre beschädigt hatte. Seither bekriegten sie sich vor Gericht – es ging um eine Handwerkerrechnung über siebeneinhalbtausend Dollar, für die Colon nicht aufkommen wollte.
Springen wir jetzt zum vergangenen Mai. Wir sehen Marsha Padilla und einen Gefrierbeutel mit Freundschaftsbrotteig. Sie erinnert sich an den Geburtstag ihres Nachbarn und beschließt, einen Kuchen daraus zu backen und ihn Martin Colon mit einer Grußkarte vor die Tür zu stellen. Heute reden sie wieder miteinander und sind übereingekommen, sich die Rechnung zu teilen, so dass inzwischen nicht nur das Haus der Padillas wieder auf einem festen Fundament steht, sondern auch ihre Freundschaft.
Der Polizeichef Craig Neimeyer berichtet, dass die ohnehin sehr niedrige Verbrechensrate von Avalon in den letzten zwei Monaten praktisch auf null gesunken ist.
Beim örtlichen CVJM und im Seniorenzentrum ist sehr zur Freude der Jugendlichen und der älteren Einwohner die Zahl der Ehrenamtlichen rasant gestiegen.
In der Schule wird praktisch nicht mehr gemobbt, und der Unterricht läuft völlig reibungslos.
»Avalon war schon immer eine freundliche Stadt«, sagt Octavia Stout, die seit einer halben Ewigkeit hier lebt. »Aber jetzt ist es noch friedlicher geworden. Die Leute machen einen glücklicheren Eindruck. Ich freue mich, wenn ich jemandem erzähle, dass ich aus Avalon komme.«
Doug MacDonald pflichtet ihr bei. »Meine Kinder haben für Barrett gebacken. Früher gab es wegen der Hausarbeit ständig Krach mit mir oder meiner Frau, weil sie keine Lust hatten mitzuhelfen, aber das ist vorbei. Jetzt setzen wir uns abends zu Tisch und essen gemütlich miteinander.«
Ein Raum in Madelines Teesalon ist zum offiziellen Treffpunkt für die Frauen ernannt worden, die regelmäßig Freundschaftsbrot backen und miteinander teilen. Der von den Medien so getaufte »Freundschaftsbrot-Club«, der sich eines regen Zulaufs erfreut, hat es sich zum Ziel gesetzt, für bedürftige Familien, Organisationen und Gemeinden zu backen. Im Moment versorgen sie Frauenhäuser im ganzen County mit dem Brot und stehen mit Rat und Tat zur Verfügung, wenn jemand einen ähnlichen Club gründen will.
»Es ist mir eine Ehre, dass sich die Frauen bei mir treffen. Denn dadurch gehöre ich einer Gemeinschaft an, die so viel für andere getan hat«, sagt Madeline Davis, die Betreiberin. »Das Brot hat auch mein Leben beeinflusst und mich mit vielen guten Menschen zusammengebracht, die ich mittlerweile Freunde nennen darf.«
Nach wie vor liegt es im Dunkeln, wie das Freundschaftsbrot überhaupt nach Avalon gelangt ist, auch wenn Julia Evarts als die erste Bäckerin bekannt ist. Sie sei allerdings nur, wie sie sagt, »eine glückliche Empfängerin des Brots, wie alle anderen auch«. Gut möglich, dass dies ein weiteres Rätsel im großen Rätselbuch der Menschheit bleiben wird, aber vielleicht ist seine Lösung auch gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass das Brot und der dazugehörige Teig ihren Weg nach Avalon fanden und dass dadurch etwas Wunderbares seinen Anfang nahm.
Kapitel 29
»Von den Schmerzen hättest du mir ruhig auch was erzählen können!«, beschwert sich Livvy am Telefon. Es ist der Abend vor Weihnachten. Livvy sieht aus dem Krankenhausfenster, vor dem dicke Schneeflocken zu Boden schweben. Der Himmel sieht aus, als sei er voller
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