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Je sueßer das Leben

Je sueßer das Leben

Titel: Je sueßer das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Darien Gee
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sich mit dem Handrücken über den Mund gewischt hätte, hätte es dieselbe Wirkung auf Mark gehabt. Er hört, wie der Motor anspringt, das Auto aus der Einfahrt rollt und Julia Gas gibt.
    Flüchtet.
    Auf der Fahrt zu Madeline schlägt Julia wütend auf das Lenkrad. Warum hat er das getan? Vor Gracies Augen! Warum?
    Julia weiß nicht, warum sie ein einziger Kuss ihres Mannes so aufregt. Sie haben sich früher dauernd geküsst – zärtlich, liebevoll, lustvoll –,vor Joshs Geburt natürlich sowieso, und als sie dann Eltern waren und Mark sein Büro gegründet hatte, fanden sie immer noch genügend Gelegenheit.
    Gleich nach Joshs Tod und Gracies Geburt hat Julia morgens immer so getan, als würde sie noch schlafen, und fest die Augen zugedrückt, bis sie wusste, dass Mark weg war. Die Küsse waren scheu und zaghaft. Bald wurden sie seltener, ohne ganz aufzuhören, auch wenn Julia Marks Küsse nur selten erwiderte. Es war irgendwann leichter, sie völlig zu vermeiden, was Julia mit einigem Erfolg schaffte, das heißt bis heute.
    Julia weiß, dass ihre Beziehung angeknackst ist, vielleicht irreparabel. Lange hat sie das gleichgültig gelassen, aber jetzt ist sie einfach nur traurig. Ist es ihr Fehler oder Marks? Sie kennt die Statistiken über Scheidungskinder. Wie steht es mit denen, die in zerrissenen Familien aufwachsen, denen ein entscheidender Teil fehlt?
    Eine wohlmeinende Freundin gab ihr einen Artikel über trauernde Eltern, und sie beging den Fehler, ihn zu lesen. Darin hieß es, dass mit dem Tod des Kindes ein Familienzweig abstirbt. Neue Zweige könnten nachwachsen, aber sie würden nie den abgestorbenen Zweig ersetzen. Für Julia ist nicht nur ein Zweig abgestorben.
    Für sie wurde der ganze Baum entwurzelt.
    »Ich habe eine Entscheidung getroffen.« Hannah spielt mit ihren Ringen, dem Diamantring und dem Ehering. Sie sind ein wenig zu eng geworden, aber sie will sie nicht abnehmen, um sie weiter machen zu lassen, damit Philippe sie nicht ohne die Ringe sieht.
    Madeline bestückt eine große Platte mit Keksen und kleinen Sandwiches, und Julia hilft ihr beim Tee. »Was für eine Entscheidung?«, fragt Julia.
    »Ich werde Philippe besuchen. Ich habe ihn die letzten Tage dauernd zu erreichen versucht, aber er ist nicht ans Telefon gegangen.« Es ist jetzt bald drei Monate her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hat. Sie waren früher oft getrennt voneinander auf Konzertreise, aber sie hielten immer irgendwie Kontakt, riefen einander an oder schickten sich Faxe und E-Mails. Doch jetzt hört sie überhaupt nichts mehr von ihm. Sie holt tief Luft. »Ich werde nach Chicago fahren.«
    Sie berichtet ihnen von ihrem Plan. Da sie ihn telefonisch nicht erreicht und sie nicht weiß, wer diese Frau in ihrer Wohnung ist, will sie ihn auf neutralem Terrain treffen. Philippe gibt dieses Wochenende ein Konzert, und sie hat vor, ihn danach abzufangen. Er wird keine Gelegenheit haben, sich heimlich davonzumachen oder sie mit irgendeiner Ausrede abzuspeisen. Hannah weiß nicht genau, was sie erwartet, aber sie will ihn sehen. Sie will einen Eindruck von ihm bekommen. Ist er glücklich? Traurig? Vermisst er sie? Vielleicht wird ihm klar, dass er sie noch liebt, wenn er sie sieht, dass er noch mit ihr zusammen sein will. Das ist doch möglich, oder?
    »Ich werde ihm nicht Bescheid sagen, dass ich komme«, fährt Hannah fort, dann zögert sie kurz, als sie sieht, dass ihre Freundinnen einen Blick wechseln. Schnell fügt sie hinzu: »Ich will ihm nichts antun oder so. So ein Mensch bin ich nicht.« Sie hält inne. Ein normaler Mensch würde so etwas nicht einmal denken, oder? Sie spürt, wie ihre Zuversicht schwindet und an deren Stelle Scham tritt. Was müssen sie bloß von ihr denken, diese beiden wunderbaren Frauen, die ihre Freundinnen geworden sind –es sei denn, sie überlegen es sich gerade anders. »Es tut mir so leid, dass ihr mich gerade jetzt kennenlernen musstet, wo in meinem Leben alles drunter und drüber geht.«
    »Es geht im Leben immer drunter und drüber«, erklärt Madeline. Julia nickt bestätigend.
    Hannah nagt an ihrer Unterlippe. Das ist sicher nett gemeint, aber auch ernst? »In euren Augen müssen Philippe und ich wie zwei verwöhnte Kinder aussehen …«
    »Unsinn. Überleg doch mal«, sagt Madeline. »Ihr beiden seid Musiker, und zwar nicht irgendwelche x-beliebigen Musiker – ihr gehört zur ersten Riege und steht ständig im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Ihr habt ein ganz besonderes Talent, das ihr

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