Je sueßer das Leben
Situation mit meinem Mann und so, aber ich könnte eine Freundin wirklich gut brauchen, falls es schiefgeht. Die Karten könnte ich umsonst kriegen –richtig gute Plätze.«
»Chicago«, murmelt Julia.
»Bitte, fühl dich bloß nicht gedrängt, ja zu sagen«, beeilt sich Hannah hinterherzuschieben. Wahrscheinlich ist es noch zu früh, so etwas vorzuschlagen – um so etwas bittet man wohl eher eine Freundin, die man schon ewig kennt. Aber Hannah hat sonst niemanden, und sie würde sich freuen, wenn Julia dabei wäre. »Ich kümmere mich um das Hotel und den ganzen Rest – es kostet mich nicht mehr, als wenn ich allein reise.«
Julia faltet die letzte Serviette und legt sie in den Korb. »Weißt du was? Ich glaube, ich komme mit. Ich muss nur noch mit meinem Mann sprechen, aber da es ein Wochenende ist …« Sie nickt entschlossen, und dann breitet sich ein Lächeln über ihr Gesicht. »Ja, ich würde gerne mitkommen.«
»Wirklich?« Erleichtert klatscht Hannah in die Hände. »Du hast gar keine Ahnung, wie froh mich das macht!« Allein das Wissen, dass Julia dabei sein wird, schenkt ihr Mut. Jetzt sieht sie der Begegnung schon viel zuversichtlicher entgegen. »Ich werde Philippe erst nach dem Konzert sehen. Normalerweise gibt es einen kleinen Empfang für die Abonnenten und VIP s. Da kannst du dich unter die anderen Musikliebhaber und Musiker mischen.«
Julia zuckt unsicher die Achseln. »Ob ich schon bereit bin, mich in die Menge zu stürzen, weiß ich nicht«, sagt sie. »Vielleicht bleibe ich einfach bei dir oder gehe zurück ins Hotel.«
»Wie du willst«, sagt Hannah, die will, dass der Ausflug für Julia schön wird. Merkwürdig, wie schnell sich die Dinge wandeln können. Hannah hat dieser Unternehmung ängstlich entgegengeblickt, und auf einmal freut sie sich drauf.
Eine Nacht in Chicago . Die Worte wirbeln durch ihren Kopf. Eine Nacht, in der Julia eine ganz normale Frau sein kann, ein Mensch, den niemand mitleidig oder prüfend anblickt. Kein Mark, keine Gracie. Sie liebt sie und braucht sie, aber gerade jetzt braucht sie etwas anderes mehr.
Julia muss einfach einmal raus.
Madeline kehrt mit einem dicken Umschlag in der Hand in den Teesalon zurück. Sie hat den Brief in der ersten Zeit in Avalon, als sie praktisch nichts zu tun hatte, geschrieben. Jetzt legt sie ihn in die Mitte des Tischs und lässt sich auf einen Stuhl sinken. »Tut mir leid.« Sie presst die Lippen fest aufeinander.
Die Frauen starren den Umschlag an, aber keine nimmt ihn in die Hand. Der Brief ist an einen Mr. Benjamin Dunn in Pennsylvania adressiert.
»Das ist seine letzte bekannte Adresse«, sagt Madeline. »Ich weiß nicht einmal, ob er dort noch wohnt. Vielleicht ist er ja nicht einmal mehr am Leben.« Das ist ihre allergrößte Angst.
»Wer ist Benjamin Dunn?«, fragt Hannah.
»Das einzige Kind meines Mannes aus erster Ehe.« Madeline sieht auf das alte rustikale Schild, das über der Tür zur Küche hängt. EIN ORT FÜR FREUNDE UND FAMILIE. Sie hatte nicht lange nachgedacht, fand es einfach einladend, aber jetzt kommt es ihr verlogen vor.
»Stevens erste Frau Erica starb, als sie wegen einer vereisten Stelle auf der Fahrbahn von der Straße abkam. Drei Jahre später wurde ich Bens Stiefmutter. Er war damals sieben Jahre alt, ein wütendes, zutiefst verstörtes Kind. Er war eines von diesen ADS -Kindern, wie man sie heute, glaube ich, nennt. Er und Steven stritten sich dauernd, was zum Teil wohl auch daran lag, dass eine Frau im Haus fehlte.«
Julia und Hannah sitzen still da und nicken, um Madeline zum Weiterreden zu ermutigen. Madeline seufzt – sie hat kaum jemandem von dieser Geschichte erzählt und bringt eigentlich nur ungern die Sprache darauf, weil sie kein gutes Ende hat.
»Erica war in der Hochzeitsnacht schwanger geworden, und Steven war damals im Grunde noch nicht bereit, Vater zu werden«, sagt sie. »Er wusste einfach nicht, wie er mit einem Kind wie Ben umgehen sollte. Versteht mich nicht falsch – Steven war ein sehr liebevoller Vater, und er hat sich sehr um den Jungen bemüht. Aber er war eben ein Mann, und es fiel ihm schwer, dem Jungen das zu geben, was er brauchte. Als ich dann auf der Bildfläche erschien, wurde alles erst einmal noch schlimmer.
Es entbrannte ein regelrechter Kampf. Am Anfang habe ich alles versucht – ich habe ihm angeboten, ihm bei den Hausaufgaben zu helfen, mich als Begleitperson auf den Klassenausflügen angeboten, ihn bei den Streitereien mit Steven in Schutz
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