Je sueßer das Leben
Richards Praxis einen kostenlosen Urintest machen lassen. Aber im Klo der Avalon Gazette auf einen Teststreifen zu pinkeln, während die Kollegin vor der Kabinentür steht, wäre bestimmt amüsant (oder auch nicht). Das machen Freundinnen so, oder? Schweißt zusammen. Offenbar hat Edie diesen Teil im Leben einer Frau verpasst, während sie in der Bibliothek saß und in der Encyclopedia Britannica herumblätterte.
Livvy nickt kaum merklich, scheint aber versöhnt zu sein. »In Ordnung. Sag mal, wollen wir uns nicht nachher zum Kaffee treffen?«
Eigentlich nicht, aber Edie streckt den Daumen in die Höhe. »Du weißt, wo ich zu finden bin.«
Livvy geht ihr Scheckheft durch und sucht nach dem fehlenden Eintrag. Es ist Monate her, dass sie das letzte Mal ihre Ausgaben überprüft hat, und wenn sie ehrlich sein soll, ist sie da auch nicht so genau, aber der neueste Kontoauszug weist eine Abbuchung von fünfhundert Dollar für CMFTP aus.
Livvy hat keine Ahnung, was dieses CMFTP sein soll. Sie geht im Kopf die regelmäßigen größeren Posten durch – der Kredit fürs Haus, die Leasingraten für die Autos, die Mitgliedsgebühr für Toms Golfclub –,aber die sind alle ausgewiesen. Sie beschließt, bei der Bank anzurufen.
Tracy, die Geschäftsführerin der Gazette und Livvys Chefin, steckt den Kopf durch Livvys Tür. Livvy schiebt ihr Scheckheft schnell unter einen Stapel Papier und tut so, als würde sie etwas auf ihrem Bildschirm ansehen.
»Wie weit bist du mit dem Vorschlag für die webbasierten Anzeigen, Livvy? Ich würde ihn gerne Patrick zeigen.« Patrick Chapman ist der Verleger und Chefredakteur, ein Typ mit Sinn fürs Praktische und ohne viel Ahnung vom Zeitungsgeschäft, der aber genug Geld hat, um die kleine Zeitung vor dem Untergang zu bewahren.
Livvy hatte gehofft, Patrick ihren Vorschlag selbst unterbreiten zu können, da sie schließlich auch auf die Idee gekommen war. »Ich bin noch nicht ganz fertig. Heute Nachmittag dürfte ich aber alles zusammenhaben.«
»Super. Dann hole ich es mir so um drei. Kannst du vier Kopien machen? Sortiert und geklammert. Nicht geheftet. Danke.« Tracy bedenkt sie mit einem gönnerhaften Lächeln, dann rauscht sie davon.
Seit wann ist Livvy fürs Kopieren zuständig? Sie öffnet die Datei auf dem Computer und geht auf DRUCKEN . Während ihr riesiger alter Laserdrucker die Seiten ausspuckt, spürt sie Wut in sich aufsteigen. Tracy ist nur deshalb Geschäftsführerin, weil sie eine Woche vor Livvy hier zu arbeiten angefangen hat. Die Werbe- und Kleinanzeigenabteilung leiten könnte Livvy auch. Es war Livvys Idee, endlich wie der Rest der Welt online zu gehen, und sei es auch nur, um zusätzlich zu den mageren Anzeigen für die Druckausgabe auch noch ein paar Anzeigen für die Website zu verkaufen. Sie sollte einfach in Patricks Büro marschieren und ihm ihren schriftlich ausgearbeiteten Vorschlag persönlich aushändigen. Dann kann sie ihm auch gleich das Konzept vorstellen, damit er weiß, dass sie ihren Job beherrscht, dass sie mehr für die Gazette leistet, als ihm klar ist.
Aber sie wird es doch nicht tun. Mag Livvy auch große Reden schwingen und in dem Ruf stehen, vor nichts und niemandem Angst zu haben, will sie doch nicht Tracys Zorn oder Patricks Missbilligung auf sich ziehen. Sie braucht den Job, sie braucht das Geld, und wenn sie jemals eine Gehaltserhöhung oder eine Beförderung kriegen will, darf sie es sich mit keinem von beiden verscherzen.
Der Gedanke an das Geld erinnert sie daran, bei der Bank anzurufen. Sie wählt die Nummer. Sie wird die Lastschrift widerrufen, egal um was es sich handelt, und sich die Summe gutschreiben lassen. Wenn es sein muss, wird sie irgendetwas von Betrug erzählen und die Bank dazu bringen, der Angelegenheit nachzugehen, und in der Zwischenzeit kann sie mit dem Geld die Leasingraten für die beiden Autos zahlen.
»Avalon State Bank. Womit kann ich Ihnen dienen?«
Es ist Charlotte Snyder, eine der Hauptkassiererinnen. »Hallo, Mrs. Snyder. Hier ist Livvy Scott.«
»Wer? Tut mir leid, aber die Verbindung ist furchtbar schlecht. Könnten Sie bitte ein wenig lauter sprechen?« Die Verbindung ist ausgezeichnet – nur wird Charlotte Snyder langsam schwerhörig.
»Olivia Scott. Die Tochter von Frederick und Rebecca Townsend.«
»Olivia!«, ruft Mrs. Snyder. »Wie geht es deinen Eltern? Sind sie immer noch in Florida und lassen es sich gutgehen? Richte deiner Mutter doch aus, sie soll öfter schreiben – bei der
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