Jeans und große Klappe
Pommes-frites-Teller wieder los.
»Weshalb machen Sie denn wegen dieser Kleinigkeit ein solches Theater?« fragte ich verwundert.
»Wenn ich es nicht mache, macht er es«, erwiderte Frau Keks, »und bei ihm dauert es länger.« Dann seufzte sie. »Jetzt habe ich den Bengel erst seit zwei Wochen hier, aber mir kommt es vor wie eine Ewigkeit. Gestern habe ich meine Tochter angerufen und gefragt, wann sie ihn zurückhaben will. Wissen Sie, was sie gesagt hat? ›Wenn er sechzehn ist!‹«
In der Ferne hörte man Donnergrollen. »Ein Gewitter wäre genau das, was uns jetzt noch fehlt!« Rolf erhob sich von der Luftmatratze und scheuchte seine Söhne auf. »Die Farbe ist fertig, jetzt seht zu, daß ihr vorankommt!«
Die Knaben machten sich an die Arbeit. Was sie da auf die einstmals weiße Tapete pinselten, erinnerte mich an Sahnebonbons, aber zweifellos würde sich dieser Anstrich als resistent gegen Nikotinablagerungen erweisen. Die waren offenbar schon in der Farbe drin.
Es donnerte lauter. Ich lief in den Garten und erschrak über die dunklen Wolkenberge, die sich bedrohlich nahe auftürmten. Steffi schrubbte die letzten beiden Bretter ab. »Nachzuspülen brauche ich sie nicht, das macht gleich der Regen!«
Ich rannte zurück ins Haus. »Alle Mann raus, aber sofort! Die Möbel müssen auf die Terrasse und die Bücher ins Haus! Katja, trommle alles zusammen, was Beine hat!«
In den nächsten Minuten traten wir uns gegenseitig auf die Füße. Eine Karawane bewegte sich zwischen Garten und Terrassentür hin und her, vollbepackt und langsam die einen, laufend, weil aller Lasten ledig, die anderen. Es muß ausgesehen haben wie auf einem Ameisenhaufen.
»Wo sollen wir denn mit den Büchern hin?« schrie Nicki aus dem Innern des Hauses. »Hier steht doch schon alles voller Möbel und Geschirr.«
»Bringt sie nach oben, egal! Hauptsache, sie sind im Trocknen.«
Schleusen öffneten sich, und der Himmel schüttet das aus, was er in den vergangenen Tagen nicht mehr losgeworden war. Es mußte sich hierbei wohl um das von Herrn Köpcke angekündigte Azorenhoch handeln. Egal, nasse Kleider kann man trocknen, nasse Bücher nicht. Wir bildeten eine Kette und warfen sie uns zu. Sascha stapelte sie im Wohnzimmer auf dem Fußboden. Dort lagen die Plastiktüten, bekleckert mit Farbe. (Noch heute fragen uns gelegentlich Besucher, weshalb Viele unserer Bücher keine Schutzumschläge hätten.)
Die Hilfstruppen, ausnahmslos minderjährig, entfernten sich zähneklappernd, um zu Hause trockne Sachen anzuziehen. Das hätten wir auch sehr gern getan, nur ging es leider nicht. Vor der Wohnzimmertür standen zwei Sessel, darauf, daneben, drumherum Bücher.
»Dann müssen wir eben zur Haustür rein«, sagte Nicki und entwetzte zurück in den Regen. Wenig später klingelte es.
»Herrgott, ist die dämlich! Wie sollen wir denn aufmachen?« Sven zog mit aller Kraft an der Klinke und schaffte es, die Wohnzimmertür einen Spalt zu öffnen. Ein Stapel kam ins Rutschen, die beiden oberen Bücher versanken blubbernd in der Karamelbonbonbrühe.
»War bloß der Duden!« Sascha fischte ihn wieder aus der Farbsoße und stopfte ihn in eine Plastiktüte. »Wir brauchen ohnehin einen neuen, der hier ist längst überholt. Da steht noch nicht mal ›ausflippen‹ drin!«
»Hat denn niemand einen Hausschlüssel?« fragte Rolf überflüssigerweise.
»W-w-wo denn? Im B-b-b-adeanzug vielleicht?« Steffi zitterte wie Espenlaub.
»Also los, anfassen! Die Bücher müssen weg! Wir können hier ja nicht überwintern!« Sven griff sich den ersten Stapel und türmte ihn in der Zimmerecke auf.
»An die andere Wand, du Trottel! Hier müssen wir doch gleich weiterstreichen.« Sascha schleppte Fotoalben und Leitzordner zum Fenster. »Da stört der Kram im Augenblick am wenigsten.«
Endlich hatten wir die Tür ausgegraben, öffneten sie und sahen uns der nächsten Barrikade gegenüber. Stühle, Tisch, Flaschen, Bücher, Gläser, Lampen, dazwischen die Eßzimmermöbel – ein grandioses Durcheinander. Mit vereinten Kräften hievten wir Katja über die Möbelpyramide, und sie fand schließlich einen Durchschlupf zur Haustür.
Erschöpft, einer Gruppe von Schiffbrüchigen nicht unähnlich, wankten wir tropfend in unsere Zimmer. Der Bücherstapel vor dem Kleiderschrank wunderte mich nun auch nicht mehr.
Oben mußte es wohl so ähnlich aussehen. »Ist Albert Kamuss ein sehr wertvoller Schriftsteller?« rief Katja die Treppe hinunter.
»Keine Ahnung, hab' den
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