Jeans und große Klappe
verwandelt und baute für den derzeitigen Freund ein Regal zusammen. Ich durfte die Bretter abschmirgeln, während sie mir – mit Nägeln im Mund und Heftpflaster in Reichweite – vorschwärmte: »Das Schönste am Weihnachtsfest sind doch die Vorbereitungen!«
Sie hat noch keine Kinder. Hätte sie welche, dann wüßte sie, daß Weihnachten bereits im September beginnt. Dann nämlich fangen sie an zu ›proben‹.
Wer glaubt, Übung mache den Meister, der hat seine Kinder kein Musikinstrument lernen lassen. Ich habe früher Klavierstunden gehabt, weniger aus Spaß an der Sache, als vielmehr deshalb, weil es damals üblich war und wir außerdem so ein Möbel besaßen. (Heute spielt man Kassettenrecorder.)
Eine Nachbarin, die mich offenbar nicht leiden konnte, schenkte Stefanie eine alte Blockflöte von ihrer Tochter und erklärte mir mit honigsüßem Lächeln: »Ich finde, man kann Kindern nicht früh genug die Liebe zur Musik einpflanzen.«
Das Kind war damals fünf Jahre alt und für alles Neue empfänglich. Es entlockte diesem so harmlos aussehenden Instrument Töne, die an nicht geölte Türen erinnerten, an liebeshungrige Katzen und an Musik von Stockhausen.
»Jetzt laß der Steffi doch endlich Unterricht geben, ich bezahle ihn ja«, stöhnte Rolf und dichtete die Tür zu seinem Arbeitszimmer mit schallschluckenden Klebestreifen ab.
Zu diesem Zeitpunkt wohnten wir noch in unserer ländlichen Idylle, wo es Kühe und Schweine gab, aber keinen Musiklehrer. Dann zogen wir nach Bad Randersau, und hier gab es nicht nur Lehrer für Blas- und Streichinstrumente, hier gab es sogar ein kleines Schulorchester und einen Kinderchor. Steffi begann also, vorschriftsmäßig Tonleitern zu üben, und wenn die auch nicht anders klangen als ihre früheren freien Improvisationen, so standen sie jetzt unter fachkundiger Obhut und kosteten Geld.
Nach ihrem ersten öffentlichen Auftreten im Rahmen einer Schulfeier kam Stefanie mit einer Tafel Schokolade und einer Büchse Limonade nach Hause – Gage für die Künstler. Sofort beschlossen die Zwillinge, ebenfalls das Blockflötenspiel zu erlernen.
»Wir wollen auch gar keine Ostereier haben, wir wünschen uns bloß zwei Flöten«, verkündeten sie vorsichtshalber schon im Februar.
»Kommt nicht in Frage!« erklärte der entsetzte Vater und begründete seine Ablehnung mit der Feststellung, daß der Musikunterricht für drei Kinder zu teuer werden würde.
»Stimmt überhaupt nicht. Fräulein Wilkens macht das doch jetzt umsonst, wenn man dafür auch in den Chor geht.«
»Aber ihr könnt doch gar nicht singen, und wenn doch, dann jämmerlich falsch.«
»Das merkt die aber nicht, wenn wir bloß den Mund auf- und zumachen.«
Die Zwillinge bekamen ihre Flöten, quäkten sich ebenfalls mißtönend durch das Anfangsstadium und haben es auch jetzt noch nicht zu bemerkenswerten Leistungen gebracht. Ihre Begeisterung für Hausmusik nimmt ab Januar merklich ab, schwindet während der Sommermonate völlig, erwacht ab September langsam wieder und erreicht im Dezember den jährlichen Höhepunkt. Dann nämlich finden die Konzerte vor Publikum statt, und alle Teilnehmer bekommen Nikolaustüten oder kleine Geschenke, von den Insassen des Altersheimes Kakao und Kuchen, vom Bürgermeister eine Zehnerkarte fürs Hallenbad.
Man kann darüber streiten, ob ›Heinzelmännchens Wachtparade‹ eine musikalische Offenbarung ist. Von Blockflöten interpretiert, ist sie jedenfalls keine. Und wenn man sich diese Melodie zwei Monate lang täglich eine Stunde anhören muß, nur unterbrochen von gelegentlichen Zwischenrufen wie »Wann merkste dir endlich, daß das G ein Gis ist?« oder »Da mußte doch den dritten Finger nehmen, sonst kommste nachher mit dem vierten nicht aus!«, dann frage ich mich immer wieder, weshalb es auch heute noch so viele Verfechter der Hausmusik gibt.
Ende September, wenn im Supermarkt die ersten Christstollen angeboten werden und Adventkalender die Auslagen der Schreibwarenläden schmücken, beginnt Steffis große Zeit. Sie sammelt in sämtlichen Geschäften Rezepte, die von Backpulver- und Puddingfabrikanten in immer neuen Varianten angeboten werden. Daraus wird dann ein Sortiment zusammengestellt, das dem Warenvorrat einer gut assortierten Konditorei entspricht und zu dessen Herstellung so merkwürdige Zutaten wie Kardamom, kandierter Ingwer und Heideblütenhonig gehören.
Einem ungeschriebenen Brauch zufolge hat eine gute Hausfrau das Weihnachtsgebäck selbst
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