Jeans und große Klappe
Schlafrock‹ heiße und im übrigen nicht unbedingt ein weihnachtliches Attribut sei.
Steffi fragt, zu welcher Weihnachtsfeier ich denn nun käme und ob sie wirklich keine Hosen anziehen dürfe.
»Wenn alle anderen Röcke tragen, kannst du nicht als einzige in Hosen kommen!«
»Aber ich stehe doch in der dritten Reihe, mich sieht untenrum ja keiner.«
Ich entscheide mich für die Nikolausfeier des Kraichgauclubs. Keine Ahnung, welchem Zweck dieser Verein dient, aber Kinderorchester und Chor werden auftreten, und dann habe ich die Sache wenigstens hinter mir. Inzwischen kann ich ›Heinzelmännchens Wachtparade‹ schon rückwärts.
Die Feier findet im großen Kurhaussaal statt. Der kleine hätte auch genügt, aber der hat keine Bühne. Rolf kommt nicht mit, er drückt sich immer. Sascha habe ich erst gar nicht gefragt, und Sven habe ich nur mit dem Versprechen ködern können, er dürfe sich einen Hummersalat bestellen. Als ich ihn bat, sich ausnahmsweise mal anständig anzuziehen, wollte er zwei Salatportionen.
Die Feier ist lang. Ein Redner löst den anderen ab, man beschwört Kameradschaftsgeist, Naturverbundenheit und mahnt scherzend rückständige Beiträge an. Zum Jahresende muß die Kasse stimmen.
Der Kinderchor tritt auf. Katja steht in der ersten Reihe und singt lauthals mit. Meistens daneben. Nicki wird von einem größeren Jungen verdeckt und bemüht sich verzweifelt, über seine Schulter zu spähen. Endlich hat sie uns gefunden und winkt verstohlen. Stefanie sehe ich überhaupt nicht. Sven deutet zum Flügel. Da steht meine Tochter und sieht aus wie ein Weihnachtsengel. In der einen Hand hält sie eine Kerze, mit der anderen blättert sie die Noten um. Der Rock ist deutlich zu sehen.
Der Chor tritt ab, es folgt ein Geigensolo, dann ein Duett mit Klavier. Im Hintergrund piepst eine Flöte. Es ist soweit. Das Orchester kommt. Es besteht vorwiegend aus Blockflöten, ein Akkordeon ist noch dabei, zwei Klarinetten, ein paar Streicher. Das Klavier hat Pause.
Fräulein Wilkens gibt den Einsatz. ›Heinzelmännchens Wachtparade‹ zum hundertzweiundneunzigsten Mal. Ich stelle fest, daß noch einige Musiker Gis mit 0 verwechseln. Die Künstler verbeugen sich, Beifall rauscht auf. Jetzt kommt der Nikolaus, überreicht bunte Tüten, ermahnt einzelne Orchestermitglieder, im neuen Jahr regelmäßiger zu den Proben zu erscheinen und immer fleißig zu üben. Stefanie kriegt auch einen Schlag mit der Rute.
»Und jetzt singen wir noch alle zusammen ›O du fröhliche …‹«
Fräulein Wilkens gibt den Ton, die Flötisten nehmen Haltung an, los geht's. Dann ist auch das überstanden, und nun beginnt der gemütliche Teil der Veranstaltung.
Eine halbe Stunde halte ich es noch aus, dann will ich gehen. Die Zwillinge wollen nicht. Sie toben mit anderen durch den Saal. Steffi sitzt bei Christiane am Nebentisch und polkt die Wachsflecken von ihrem dunkelblauen Rock. Sven ist verschwunden.
Nach zwanzig Minuten habe ich alle zusammengetrommelt und zur Garderobe gescheucht. Katjas Mantel ist nicht da. Schließlich wird er mit abgerissenem Aufhänger irgendwo auf dem Boden gefunden. Er ist reif für die chemische Reinigung.
Rolf sitzt vor dem Fernseher und guckt sich ›Romeo und Julia‹ an. Galavorstellung des Bolschoi-Balletts! Darauf hatte ich mich schon seit einer Woche gefreut.
»Na, war es denn schön?« will er wissen.
Am liebsten würde ich ihm jetzt die Weinflasche an den Kopf werfen, aber die ist noch viertel voll. Ich trinke den Rest und gehe schlafen. Warum haben wir nicht schon Januar?
Heiligabend! Die Zwillinge quirlen seit sechs Uhr herum und machen das Frühstück (wo Rauch ist, da ist auch Toast). Um sieben werde ich mit einer Tasse Hagebuttentee geweckt. Er wurde auf Sparflamme gekocht, und Zucker fehlt auch.
Ich schlurfe ins Bad. Zahnpasta ist alle. Man kann schließlich nicht an alles denken.
»Hast du bei Sperber angerufen, ob die noch den Wagen waschen können?«
Habe ich nicht. Es ist mir auch völlig egal, ob das Auto dreckig oder sauber in der Garage steht, ich benutze es sowieso nur noch selten.
Der Kaffee sieht nicht gerade vertrauenerweckend aus.
»Wieviel Bohnen habt ihr denn pro Liter genommen?« will ich von Nicki wissen.
»Das ist doch Tee!«
»Dann mach mir bitte eine Tasse Kaffee, sonst werde ich überhaupt nicht munter!«
Der Kaffee kommt. Es ist Blümchen.
Während des Frühstücks überprüfe ich die Einkaufsliste. Viel fehlt nicht mehr, aber der Kuckuck mag wissen,
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