Jeans und große Klappe
Besenschranks durch das Haus, ertränkte sämtliche Flure und jeden nicht teppichbelegten Quadratzentimeter Boden unter Sturzbächen von Seifenlauge, polierte alle zwei Stunden die gläserne Tischplatte, fuhrwerkte morgens und nachmittags mit dem Staubsauger herum, und wenn sie fertig war, fing sie wieder von vorne an.
»Früher war es hier viel gemütlicher«, meuterte Sascha, als Frau Mäurer mit einem mißbilligenden Seitenblick zu ihm die Zeitung zusammenfaltete, die er wieder einmal, in ihre Einzelteile zerlegt, gleichmäßig im Raum verteilt hatte. »Jetzt sieht alles so entsetzlich steril aus.«
»Ordnung muß sein«, bemerkte Frau Mäurer und räumte auch noch den Bleistift weg, mit dem Sascha sich am Kreuzworträtsel versucht hatte.
»Quatsch«, sagte Sven, »wer Ordnung hält, ist bloß zu faul zum Suchen.«
Auch Rolfs anfängliche Begeisterung über Frau Mäurers Arbeitseifer geriet zunehmend ins Wanken. Wenn er ganz harmlos fragte, ob noch ein Bier im Kühlschrank stehe, sprang sie sofort auf, brachte Flasche und Glas, stürmte erneut los, um den Öffner zu holen, schenkte das Bier ein, lief wieder los, um das vergossene Bier wegzuwischen, setzte sich, sprang auf, weil sie den Untersatz vergessen hatte, holte ein Ledertuch, um die Glasplatte neu zu polieren, setzte sich, stand noch einmal auf, denn der Aschenbecher befand sich nun nicht mehr in Rolfs Reichweite, und wenn sie endlich wieder Platz genommen hatte, war inzwischen das Bier alle, und sie sah sich genötigt, Flasche und Glas wieder fortzuräumen. Ordnung muß sein.
Spazierte Nicki mit staubigen Schuhen quer über den Wohnzimmerteppich, eilte Frau Mäurer mit Hausschuhen und Kleiderbürste hinterher. Wusch sich Katja in der Küche die Hände statt im Bad, polierte Frau Mäurer mit ergebener Miene sofort das Spülbecken. Stellte Rolf seine Mappe auf dem Flur ab, brachte Frau Mäurer sie umgehend ins Arbeitszimmer. Warf ich meine Handschuhe auf den Dielentisch, legte Frau Mäurer sie sorgfältig in die Schublade, wo ich sie zehn Minuten später wieder herausholte. Unsere Schlüssel bekamen Plastikschildchen, unsere Blumentöpfe wurden der Größe nach auf den Fensterbrettern angeordnet, und eines Tages waren auch die Bücher dran. Ob man nicht die Taschenbücher alle nach links und die dünnen hohen nach rechts …
Ich dachte an Frau Friedrich und streikte.
Inzwischen atmeten wir alle auf, wenn Frau Mäurer ihren ›freien‹ Nachmittag nahm. Umsonst hatte ich ihr versichert, daß es mir völlig gleichgültig sei, wann wie lange sie wohin gehe, außerdem sei die Leibeigenschaft ohnehin nicht mehr gebräuchlich.
Nun hatte Frau Mäurer gewiß viele bemerkenswerte Vorzüge, aber Humor gehörte nicht dazu. Etwas pikiert erklärte sie mir dann auch, daß sie nur die ihr gesetzlich zustehenden Rechte beanspruche, nämlich einen freien Nachmittag pro Woche und jedes zweite Wochenende. Sie habe sich diesbezüglich erkundigt.
»Wo denn?« rutschte es mir heraus.
»Bei einer einschlägigen Stelle.«
Später entpuppte sich diese einschlägige Stelle als Kurgast, der mit einem Zimmermädchen geschäkert hatte und auf intimere Beziehungen verzichten mußte, weil die junge Dame angeblich immer im Dienst gewesen war und nicht einmal die ihr zustehende Freizeit bekommen habe.
Frau Mäurer stiefelte also einmal wöchentlich nach dem Mittagessen los und kehrte – von ihr selbst verordnet – pünktlich um elf Uhr zurück. Im Hinblick auf die miserablen Verkehrsverbindungen, die jeden nichtmotorisierten Einwohner Bad Randersaus zu absoluter Abstinenz in bezug auf Barbesuche oder noch ausschweifendere Amüsements verdonnern, war es uns wochenlang ein Rätsel, wo Frau Mäurer wohl ihre Vergnügungslust befriedigen würde. Dann entdeckte Sven sie im Kurhaus, wo sie munter das Tanzbein schwang.
An ihren nicht freien Wochenenden bemühte sie sich redlich, den bei uns üblichen Sonntagstrott abzuschaffen. Wir hatten pünktlich um neun Uhr am Frühstückstisch zu erscheinen – lediglich die Jungs brachten den Mut auf, sich diesem Gebot zu widersetzen –, der Vormittag diente den umfangreichen Vorbereitungen für das Mittagessen, der Nachmittag stand im Zeichen der unerläßlichen Kaffeetafel, und am Abend luden wir uns vorsichtshalber bei Freunden ein, die im Trainingsanzug oder in ausgebeulten Cordhosen auf der Terrasse saßen und den Sonntag genossen. Bei ihnen waren nicht mal die Betten gemacht, während bei uns sogar der Küchenboden glänzte. Frau
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