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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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und knappe Entscheidungen.
    Ich will dieses Leben fühlen, wie ich es lebe. Nicht, wie ich es vielleicht gelebt hätte. Oder wie ich es hätte leben können, wenn... Ich will es so fühlen, wie es ist: nackt oder angezogen, barfuß oder in Schuhen, kalt, heiß, kompliziert, einfach, voller Angst, voller Glück, unzufrieden, begeistert, fruchtbar, egoistisch, großzügig, mitfühlend.
    Ich weiß nur eins: Dass ich eigentlich nicht mehr am Leben sein sollte und mich doch lebendiger fühle als viele Menschen auf dieser Erde. Jedes Mal, wenn ich zum Dead Man’s Hole zurückkehre, mache ich den Sprung hinunter. Ich bin immer noch überzeugt, dass ein wenig Angst einem gut tut. Ich bin so sehr davon überzeugt, dass ich nach einer Weile, als der Sprung zur Routine wurde, anfing, nach weiter oben in den Felsen gelegenen Absprungstellen zu suchen.
    Es gibt da einen Vorsprung, von dem es wahrhaft erschreckende 15 Meter bis hinunter ins Wasser sind. Tag für Tag betrachtete ich mit zwei Freunden, Morris Denton und Ryan Street, den Vorsprung, und im Scherz schlossen wir Wetten darauf ab, ob einer von uns jemals den Mut dazu haben würde. Dann, eines Nachmittags, sprang Morris. Er stürzte sich von dem Felsen hinunter in das kalte, grüne Wasser. Begleitet von unserem Gebrüll und Applaus tauchte er wieder auf. Dann nahm Ryan Anlauf und sprang.
    Sehr vorsichtig ging ich nach vorn an die Kante und blickte hinunter. Während ich da stand, konnte ich spüren, wie mir das Blut aus dem Kopf in die Beine stürzte, und ich fühlte mich plötzlich ganz schwach. »Keine Chance«, rief ich nach unten, meine Stimme vom Echo vielfach verstärkt. »Ich kann das nicht.« Vorsichtig machte ich einen Schritt nach hinten, weg von der Kante.
    Unten trat Morris ins Wasser. »Was ist los?«, schrie er zu mir hoch.

»Ich kann das nicht«, brüllte ich nach unten.
    »Hast du etwa Schiss, Mellow Janey ?«
    Ich blieb stehen. Ryans und Morris’ schrilles Lachen echote von den Felswänden des Canyons. »Mellow Janey! Mellow Janey!«
    »Sehr witzig«, schrie ich zurück.
    Einen Moment lang stand ich da und lachte mit ihnen. Dann drehte ich mich um... und rannte geradewegs über die Kante.
    Ich warf mich in die Luft. Unter mir verschwand der Felsvorsprung, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, in der Luft zu hängen, mit wild rudernden Armen und strampelnden Beinen, unter mir nichts als kaltes, grünes Wasser. Mir stockte der Atem. Ryan und Morris starrten nach oben, lachten mit weit aufgerissenen Mündern einen Mann an, der völlig davon hingerissen war, nichts als Luft um sich zu spüren...

Kapitel 8
    Ein anderes Ende...
    D u denkst, es ist vorbei, und dann geht es doch weiter. Ich dachte, ich wäre fertig mit der Arbeit an diesem Buch, einem Buch, das davon handeln sollte, sich gegen Widrigkeiten durchzusetzen, nicht nur in einer bestimmten Lebensphase, sondern im Leben überhaupt. Doch dann machte ich mich auf, die Tour de France ein fünftes Mal zu gewinnen, nur um sehr unsanft zurück auf den Boden der Tatsachen geholt und einmal mehr daran erinnert zu werden, wie schwer es doch sein kann, sich nach einem Sturz wieder aufzurappeln und auf die Beine zu kommen. Was genau der Punkt ist: Man bietet nicht nur einmal dem Schicksal die Stirn, und damit hat es sich dann. Das Leben geht weiter, und neue Dinge passieren.
    Bei der Tour 2003 passierten alle möglichen Dinge. Zu viele Dinge. Stürze, Hitzewellen, Viren, Pannen, eine endlose Abfolge von Zwischen- und Unfällen, sodass wir allmählich glaubten, die ganze Veranstaltung sei verhext. An einem Punkt des Rennens stand ich mitten in den Pyrenäen am Straßenrand, mit Schürfwunden und Kratzern übersät, und schrie vor Wut, weil ich überzeugt war, nun hätte ich das Rennen verloren. Zuzeiten das Einzige, was mich im Sattel hielt, war, wie der Rennkommentator Phil Ligget es ausdrückte, der »Magnetismus der Ziellinie«.Ist Geschichte eine tatsächliche Kraft? Ich weiß es nicht, aber genauso schien es mir. Bei der 100. Tour de France hatte ich das Gefühl, als müsse ich gegen einen ebenso unheimlichen wie unsichtbaren Gegner fahren. Es war, als hätten sich die Geister aller vergangenen Tour-Größen zusammengefunden und beschlossen, dass der diesjährige Sieger sich nicht nur als ein würdiger Titelträger erweisen musste, sondern darüber hinaus auch die Fähigkeit zeigen sollte, sich gegen das Absurde und nahezu Unerträgliche zu behaupten.
    Ein paar Tage vor Beginn der

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