Jede Sekunde zählt (German Edition)
Spur eines Hinweises auf Doping gefunden hatten und sie die Anklage aufgrund mangelnder Beweise fallen ließen.
Anlässlich des sechsten Jahrestags meiner Krebsdiagnose und – nachträglich – meines 31. Geburtstages richteten wir eine Party auf Milagro aus. Überall wuselten Kinder herum. Die Mädchen krabbelten über den Rasen, während ich Luke auf ein Quadbike packte und ihn durch die Gegend kutschierte. Wir hatten ein Barbecue, kistenweise Shiner-Bockbier und zwei Kuchen. Auf dem einen stand CARPE, auf dem anderen DIEM.
Die Mädchen lernten laufen, und Kik lackierte ihnen die Zehennägel rosa. Luke kam im Herbst in die Vorschule. Da er inzwischen ein erfahrener Weltenbummler ist, stellte der erste Trip in die Schule kein Problem für ihn dar, und er stürmte mit einem beherzten Winken in sein Klassenzimmer. In unserem ersten Lehrer-Eltern-Gespräch erhielt er eine exzellente Beurteilung: Er sei aufgeweckt und spiele gerne mit den anderen Kindern. »Er arbeitet mit und ist aufgeschlossen«, sagte die Lehrerin. »Er ist derAnführer der Klasse und mit allen gut Freund. Und er liebt die Mädchen.«
Als ich an diesem Abend heimkam und wir uns beim Essen über den Tag unterhielten, sagte ich zu Luke: »Magst du dein Essen?«
»Yeah, ich mag mein Essen.«
»Wie ich höre, magst du auch Pretty Chicks.«
»Yeah. Chicks zum Essen.«
Je älter Luke wird, umso mehr Fragen hat er. Ich versuche, auf alle seine Fragen eine gute Antwort zu finden. Aber es gibt Fragen, die zu beantworten mir selbst schwer fällt, ganz zu schweigen davon, ihn oder seine Schwestern mit meinen Antworten zufrieden zu stellen.
Im Februar 2003 einigten Kik und ich uns auf eine Trennung auf Probe und fingen gleichzeitig mit einer Eheberatung an. Ich zog in meine Ein-Zimmer-Hütte auf Milagro, der kleinen Ranch, die ich gerodet und wo ich weichen, grünen Rasen ausgesät hatte. Sooft ich auch auf dem Schaukelstuhl auf der Veranda saß und über die konkreten Ursachen unserer Eheprobleme nachgrübelte, sie blieben mir schleierhaft. Aber ich erkannte, dass wir über dem Versuch, alles tun zu wollen, das Wichtigste vergessen hatten: Wir hatten vergessen, verheiratet zu sein. Es war, als seien wir von einer Strömung fortgetragen worden, ohne von dieser Strömung zu wissen. Eines Tages dann blickten wir auf und erkannten, dass wir abgetrieben worden waren und alle unsere Marksteine und Bezugspunkte aus den Augen verloren hatten.
Die Leute warnen einen, dass die Ehe harte Arbeit bedeutet. Aber wer hört schon auf solche Gemeinplätze? Alle Welt spricht über die hübschen Kleider der Brautjungfern, aber darüber, was danach kommt, spricht niemand; darüber, wie schwer es einem fallen kann, beieinander zu bleiben oder etwas wieder aufzubauen. Niemand sagt dir, dass es mit ein paar schweren Tagen nicht getan ist, dass dir harte Wochen und vielleicht sogar ein paar harte Jahre bevorstehen.
Im Februar 2003 kehrte ich zum Training nach Europa zurück, alleine. Kik blieb mit den Kindern in Austin. Aber wir sprachen weiterhin miteinander und arbeiteten daran, unsere Beziehung auf einem festeren Fundament neu zu errichten. Im April kam Kik nach Europa, und zusammen gingen wir nach Nizza, wo wir vor unserer Hochzeit zusammen gelebt hatten. Es war das erste Mal seit vier Jahren, dass wir beide ungestört Zeit füreinander hatten, ohne Kinder, ohne Freunde.
Während ich dies schreibe, wissen wir noch nicht, was die Zukunft uns bringen wird, aber eines wussten wir ganz sicher: dass wir die Eheberatung mit derselben Entschlossenheit und Disziplin angehen würden, mit der wir auch die anderen Dinge unseres Lebens angingen. Und dass, unabhängig von unseren jeweiligen Fehlern und unabhängig davon, was am Ende sein wird, unsere Ehe ein Erfolg ist: Immerhin haben wir drei Hauptgewinne gezogen.
Noch eines weiß ich: dass die Nutze-den-Tag-Mentalität, die ich aus meiner Krankheit mitgebracht habe, keineswegs immer gut für mich ist. Es ist einfach zu verlockend, wenn ich mitten in einer vertrackten oder lästigen Sache stecke, das Ganze als Verschwendung meiner kostbaren Zeit abzutun und mich mit etwas anderem, Näherliegendem zu beschäftigen. Manche Dinge erfordern einfach Geduld.
Die Frage, wie man den Krebs überlebt, ist für mich von einer anderen abgelöst worden: Wie überlebe ich ohne ihn? Das Leben nach dem Krebs hat etwas von einem Wettkampf an sich; beide sind emotional komplex, und weder das eine noch das andere wartet mit einfachen, bequemen
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