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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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mir das Wasser aus.
    Bis zur zweiten Zwischenzeit hatte ich 39 Sekunden gegenüber Ullrich verloren – und ich wurde langsamer. Ich hatte keine Möglichkeitmehr, mir Wasser zu besorgen; das Zeitfahrreglement verbietet es den Fahrern, sich auf dem Kurs mit Essen oder Trinken versorgen zu lassen. Meine Zwischenzeiten waren mir inzwischen egal, ich wollte nur noch eines: trinken.
    Mit einem weißen Salzring um den Mund und einem Rückstand von einer Minute und 36 Sekunden gegenüber Ullrich kam ich endlich ins Ziel. Hinter der Ziellinie fiel ich praktisch vom Rad. Ich hatte an diesem Tag gut sieben Liter Flüssigkeit verloren. Irgendwie hatte ich es auf den zweiten Platz geschafft und das Gelbe Trikot verteidigt, aber ich war ein sehr wackeliger, sehr schwacher Führer.
    Ich wusste nicht, wie ich meinen Teamkameraden gegenübertreten sollte.
    Johan klopfte mir zwar einfach auf den Rücken und sagte, »Hey, das holen wir morgen wieder auf«, aber das Essen an diesem Abend verlief sehr still. Ich konnte fast schon hören, wie die Jungs sich fragten, was mit mir los war und ob ich noch das Zeug dazu hatte, das Rennen zu gewinnen. Die Jungs in Blau schufteten unermüdlich für mich, aber ich blieb ihnen den Lohn für ihre harte Arbeit schuldig. Stattdessen schien jeder neue Tag ein neues Malheur bereitzuhalten, und nun hatte ich auch noch auf einer wichtigen Etappe körperlich versagt. Ich konnte ihnen kaum in die Augen schauen. Aber niemand flüsterte oder klagte oder stellte laute Fragen. Wenn sie den Mund öffneten, dann nur, um zu essen, und als sie fertig waren, standen sie auf und gingen.
    Auf dem Weg in die Pyrenäen am nächsten Morgen kam George zu mir. Ich war immer noch völlig am Boden, und er konnte das sehen. »Ich will nur, dass du eines weißt«, sagte er zu mir.
    »Was? Dass ich im Arsch bin?«
    »Nein. Was du gestern abgezogen hast, war das Eindrucksvollste, was ich dich je habe tun sehen.«
    »Warum?«
    »Weil ich sah, wie sehr du gelitten hast, aber auch, dass du dich trotzdem voll reingehängt hast.«
    Georges Worte halfen mir durch den elenden Tag, der vor mir lag. Auf uns warteten die schwersten Bergetappen der gesamten Tour, und ich war nicht gerade in der Verfassung, meine Führung zu verteidigen. Von einer ernsten Dehydration erholt man sich nicht in einem oder in zwei Tagen. An diesem Tag erwartete uns ein harter Anstieg hinauf in ein Dorf namens Bonascre, und der Anstieg würde mir große Pein bereiten. Das war mir klar – und allen anderen auch.
    Am Ende des Tages hatte ich erneut Zeit gegenüber Ullrich verloren, der im Gesamtklassement nun nur noch 15 Sekunden hinter mir lag.
    Im Ziel sah ich einmal mehr furchtbar aus, die Augen tief eingesunken, um Jahre gealtert. Im Peloton machte das Wort die Runde, dass ich nicht mehr lange durchhalten, dass ich die Tour an einem der nächsten Tage an Jan Ullrich verlieren würde.
    Unterstützt von Johan, halfen mir meine Teamkameraden durch die Krise. Keiner von ihnen brach in Panik aus. Mit der Zeit, wiederholte Johan in einem fort, würde ich mich schon wieder fangen und Ullrich an irgendeinem Punkt einen Einbruch erleben. Gleichzeitig suchte er nach ganz praktischen Mitteln und Wegen, unseren Vorsprung zu verteidigen, und verfiel auf eine inspirierte Taktik, um mich vor den ständigen Attacken der anderen Fahrer zu schützen: Johan beschloss, den Spieß umzudrehen, und schickte unsere Kletterspezialisten Chechu und Manuel Beltrán (auch »Tricki«, spanisch für »Krümelmonster«, genannt) zu Angriffen nach vorn. Chechu und Tricki zogen an und zwangen die anderen Fahrer, ihnen nachzusetzen. Der Schachzug glückte: Die anderen Fahrer waren so damit beschäftigt, den beiden hinterherzujagen, dass sie gar nicht dazu kamen, mich zu attackieren, und ich ein erträglicheres Tempo anschlagen konnte.
    Dann, wie Johan es versprochen hatte, kam der Tag, an dem ich mich erstmals wieder ein bisschen besser fühlte. Er könne, schwor Johan, sehen, dass ich mit mehr Kraft kurbelte. »Du hast hart gearbeitet, und du bist gut vorbereitet«, sagte er. »Ein paarDinge sind falsch gelaufen, aber in der letzten Woche der Tour kommt es vor allem auf die Erfahrung, die Einstellung und die Entschlossenheit an, und was diese drei Dinge angeht, glaube ich nicht, dass irgendjemand dir gewachsen ist.« Trotz allem hatte er den Glauben an mich nicht verloren – und er half mir damit, ebenfalls an mich zu glauben.
    Frühstück und Abendessen verliefen weiterhin in einer

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