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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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war.
    Danach veränderte sich die Beziehung zwischen Lee und mir von Grund auf. Wir sprachen nie mehr über Geld, außer in dem theoretischen Sinn, den wir beide kennen gelernt hatten: dass zuerst die Gesundheit kommt, dann das Geld. Wir sprachen über die Erfahrung, wieder ins Spiel, ins Leben zurückgebracht worden zu sein, und über das zentrale Problem des Überlebens: Wie kann man an dem festhalten, was einen die Erfahrung einer tödlichen Krankheit gelehrt hat, und gleichzeitig wieder ein ganz normales Leben mit seinen vielen kleinen und großen Anforderungenführen? In dem Zusammenhang zitierte Lee häufig die Dichterin Mary Oliver: »Was wirst du tun mit diesem deinem ungestümen und kostbaren Ich?«
    Als Tour-Sieger und Krebsaktivist taten sich mir zu viele neue Möglichkeiten auf, und ich musste zu viele neue Rollen spielen. Lee überzeugte mich, dass nicht Geld, sondern Zeit das wichtigste Thema in meinem Leben war. Ich fing an mich zu fragen, was ich wirklich wollte. Natürlich, ich wollte Geld verdienen, aber ich wollte mich davon nicht auffressen lassen oder mir den Kopf über Markenstrategien zerbrechen. Ich hatte keine Lust darauf, mein Gesicht auf einem Pappschild in einem Supermarkt zu sehen, und ebenso wenig Lust, einen Film mit Tweety dem Kanarienvogel zu machen. »Ich glaube nicht, dass du vor allem reich werden willst«, meinte Lee. »Ich glaube, du willst dir vor allem einen Namen machen.« Ich beschränkte mich auf ein paar Werbedeals, mit denen ich mich identifizieren konnte, und versuchte ansonsten nicht zu vergessen, dass der Druck, unter dem ich stand, ein Privileg war und mit einem nicht gerade üblichen Quantum an öffentlichem Wohlwollen einherging. Im Grunde genommen hoffte ich, an dem festhalten zu können, an das ich glaubte und das mir am Herzen lag, ohne darüber das Berufliche oder mein Privatleben zu vernachlässigen.
    Unterdessen verfolgte die gesamte Radsportwelt neugierig mit, wie ich mit dem Reichtum, den geschäftlichen Verpflichtungen und dem Publicity-Mahlstrom zurechtkam. »Jeder Fahrer, der gewinnt, steht vor demselben Problem«, meinte der herausragende spanische Radrennfahrer Miguel Induraín einmal. »Der Sieg verändert sein Leben für immer.« Die Tageszeitung USA Today brachte einen Beitrag über meine geschäftlichen Engagements und titulierte mich als Lance Inc. Die französische Sportzeitung L’Équipe übernahm den Artikel, ergänzt durch einen kursiv gesetzten Kommentar, dessen Autor die Ansicht vertrat, dass ich zu viel Zeit damit verbrachte, Geld zu verdienen, statt im Sattel zu sitzen und zu trainieren.
    Die meisten meiner Gegner in der Radwelt betrachteten meinen Sieg bei der 99er-Tour als einen Glücksfall – einen sensationellen Glücksfall zwar, aber eben doch nur einen Glücksfall. Von Anfang an hatte die Radwelt sich geweigert, an mich zu glauben, und nun weigerte sie sich eben, an die Möglichkeit eines zweiten Triumphs bei der Tour zu glauben. Aber als meine Konkurrenten mich abschrieben, erwiesen sie mir einen Gefallen, weil sie mir damit ein neues Motiv lieferten. Das allein schon weckte in mir den Ehrgeiz, die Tour de France nochmals zu gewinnen.
    Je lautstärker die Skeptiker sich zu Wort meldeten, umso wichtiger wurde die Tour 2000 für mich, wichtiger vielleicht sogar noch als die Tour 99. Alles andere als ein weiterer Sieg bei der Tour wäre für mich eine Enttäuschung. »Wartet es ab«, sagte ich zu meinen Freunden. »Ich werde wieder gewinnen. Und wisst ihr auch, warum? Weil keiner von ihnen glaubt, dass ich es kann.«
    Ich fing an, nach Gründen zu suchen, mich auf dem Rad wütend zu fühlen. Ich katalogisierte jeden Ausdruck der Skepsis, jede ungläubige Bemerkung und jeden Hinweis auf Zweifel bei meinen Gegnern und benutzte sie, um mich zu motivieren. Ich führte eine regelrechte Liste, eine alte Wettkampfgewohnheit, die zurück bis in die Tage meiner Kindheit in Plano reichte, als ich immer weniger Geld hatte als die anderen Kids und immer die falsche Sportart betrieb. (In Texas zwangen sie einen zwar nicht, Football zu spielen, aber sie ließen einen deutlich spüren, dass sie das von einem erwarteten.) Außerdem hatte ich auch nicht das richtige, sprich konventionelle Elternhaus. Ich war schon immer unterschätzt worden und wusste, wie ich das zu meinem Vorteil einsetzen konnte. Ich blühte auf, wenn die Wetten gegen mich standen.
    »Ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Mensch«, sagte ich in diesem Winter. »Und ich werde euch

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