Jede Sekunde zählt (German Edition)
darüber eine andere, insbesondere Kik und Luke – ganz zu schweigen von den zahllosen kleinen Routinejobs, von geschäftlichen Sorgen, Verkehrsstaus und dem Alltagsleben, was leicht einen ganzen Tag ausfüllen und dieses kristallklare Bewusstsein in den Hintergrund drängen konnte, dessen ich mich doch so sicher gefühlt hatte.
Eines Nachmittags dann, ich stand auf einem Golfplatz und versuchte, neun Löcher zu spielen und mich dabei zu entspannen, wurde mir klar, dass ich meine Energie auf zu viele Dinge gleichzeitig verteilte. Ich stellte mich zu einem Putt auf und versuchte gleichzeitig mit dem Mobiltelefon am Ohr eine geschäftliche Angelegenheit zu regeln, bei der es um neue Fahrradreifen ging. »Bleiben Sie kurz dran«, sagte ich zu meinem Gesprächspartner, legte das Telefon ins Gras, schlug einen miserablen Putt und nahm dann das Gespräch wieder auf.
An einem anderen Tag hastete ich schweißgebadet mit meinem Rad in einer Radbox unter dem Arm quer durch den Flughafenvon Orlando, um den Anschlussflug nach New York noch zu erwischen, wo ich einen Geschäftstermin hatte. Vielleicht, so hatte ich mir überlegt, würde ich zwischendrin noch ein paar Stunden im Central Park Rad fahren können. Am Ende war ich so spät dran, dass ich das Rad auf dem Flughafen zurücklassen und mit Engelszungen auf die Stewardess einreden musste, um noch an Bord gehen zu dürfen. Völlig geschafft und völlig durchschwitzt sank ich in meinen Sitz und dachte: Das muss aufhören!
Auf seine Weise kann zu viel Erfolg tödlich sein, erkannte ich damals. Ich zog die Unmittelbarkeit vor, die darin lag, einfach gesund zu bleiben, ein guter Vater zu sein und Radrennen zu fahren. Ich wollte mich nicht mit allzu vielen Möglichkeiten und Verpflichtungen verzetteln.
Mit diesen Gedanken im Kopf ging ich zu meinem Freund Lee Walker. Wir sprachen über Opfer, die man bringen musste, und darüber, wie ich meinen Verpflichtungen nachkommen konnte, ohne mich selbst oder die Menschen um mich herum zu betrügen. Lee half mir zu verstehen, dass ein Zeitplan alles andere als eine triviale Sache ist.
»Ein Zeitplan«, sagt Lee gerne, »ist das Instrument, mit dessen Hilfe wir unsere Absichten in der Welt manifestieren.«
Ich kannte Lee Walker, so wie jeder in Austin Lee kannte. Als ehemaliger Vorstandschef von Dell Computers, der eines Tages einfach alles hatte stehen und liegen lassen und seitdem in abgetragenen Jeans, alten Turnschuhen und einem breitkrempigen Hut durch die Gegend latschte und Geld und gute Ratschläge verteilte, gehört Lee zu den einzigartigen Charakteren der Stadt. Lee hatte jeden Tag Anzug und Krawatte getragen, bis er eines Morgens mit einem stechenden Schmerz im Rücken aufwachte – Diagnose Rückenmarkshautentzündung. Während seiner Krankheit ging ihm auf, dass ihn sein bisheriges Leben anwiderte, und er wünschte sich fast schon, dass seine Krankheit ihn umbringen würde.
Nach seiner Genesung fing er ein neues Leben an. Er verließDell, verkaufte sein Anwesen im Westen von Austin und fing als Lehrkraft an der University of Texas an. Lee lebte in der Nähe des Campus in einem ziemlich alten Haus mit einem verwilderten Garten und einem zum Büro umfunktionierten Gartenhaus mit einer riesigen Tafel und bis an die Decke reichenden Bücherregalen. Er unterstützte in Austin viele wohltätige Aktionen und junge Menschen, neben anderen auch mich.
Zu Beginn unserer Bekanntschaft – vor meiner Krebserkrankung – drehten sich unsere Gespräche vor allem um Geld. Geld war mein zentrales Thema, und ich wollte alles darüber von einem ausgewiesenen Experten in Sachen »Wie werde ich reich?« wissen. Ich weiß nicht, wie oft ich mein Portfolio ausdruckte, damit er einen Blick darauf warf und mich beriet. »Was um alles in der Welt willst du mit dieser Scheißaktie?« Diesen Satz bekam ich mehr als nur einmal von ihm zu hören. Wir sprachen darüber, was und warum ich kaufte beziehungsweise verkaufte, über ganz praktische Dinge. Glück bestand für mich darin, Geld zu machen und Dinge zu besitzen.
Aber was immer ich für Glück hielt, alles wurde mir ziemlich schnell langweilig; ich fing an, es für selbstverständlich zu nehmen oder wegzuwerfen. Ein Portfolio, ein Porsche, diese Dinge waren mir wichtig. Und meine Haare. Und dann verlor ich das alles, auch meine Haare. Ich verkaufte den Wagen, verlor einen Haufen Geld und hielt mit letzter Kraft gerade noch so am Leben fest. Langsam begann ich zu verstehen, was Glück wirklich
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