Jede Sekunde zählt (German Edition)
Februar unterzog sich Kik einer In-vitro-Fertilisation, die aber leider erfolglos blieb.
Wie mühselig und anstrengend diese Prozedur ist, kann jemand, der das nicht kennt, nur schwer nachvollziehen, die vielen Pillen, die Kik schlucken musste, die Spritzen, die sie sich ungeachtet ihres Horrors vor Nadeln selbst setzen musste, die Untersuchungen – und nur, um hinterher zu erfahren, dass alles umsonst war. Wir hatten geglaubt, es würde so einfach werden wie damals, als wir Luke bekommen hatten. Aber nein, nichts passierte.
Ich nahm den Anruf an. Kik beobachtete mich, als ich die Nachricht hörte. An meinem Gesicht und meiner Stimme erriet sie sofort die schlechte Nachricht. Mit einer bemüht gefassten Stimme dankte ich dem Arzt am Apparat und legte auf.
»Es ist nicht die Antwort, die wir uns erhofft hatten«, sagte ich zu Kik.
Sie brach in Tränen aus. »Alles wird gut werden«, sagte ich, obwohl ich genauso am Boden zerstört war wie sie. »Weißt du«, fuhr ich fort, »wir probieren es einfach noch einmal.«
Wir beide wussten, was das für sie bedeuten würde: tagaus, tagein Spritzen, Pillen, Injektionen, Sonogramme. Während ich auf Reisen war, würde sie wegen der vielen Arzttermine zu Hause bleiben müssen. Wir würden noch länger getrennt werden, und wofür? Für eine weitere Enttäuschung?
Mehrere Tage spielten wir mit dem Gedanken, nochmals ein Jahr zu warten. Doch das Warten würde uns erst recht deprimieren, und so beschlossen wir, es gleich noch einmal zu probieren.
Das Timing war nicht gerade glücklich: Im Rahmen der Vorbereitungen auf die Tour 2001 standen die alljährlichen Postal-Trainingscamps an, und in Kombination mit Kiks In-vitro-Fertilisation würde das bedeuten, dass ich mehr Zeit am Stück als jemals zuvor ohne meine Familie leben musste. Luke wuchs und veränderte sich so schnell, dass ich auch so schon jede Menge verpasste. Immerzu plapperte er von »Da DEE dies« und »Da Dee das«, zeigte auf Fahrräder und sagte: »Da Dee?« Und schließlich, traurig: »Da Dee bye-bye.«
Ich flog zum Trainingslager nach Spanien. An den Tagen, die ich frei hatte, suchte ich nach einem neuen Zuhause. Schließlich stieß ich in Gerona, einer Stadt, in der der Radsport sehr populär ist, auf ein uraltes Haus, in dem eine Etage freistand. Einer von Kiks besten Freunden, José Alvarez-Villar, wohnte nur eine Dreiviertelstunde entfernt und half mir mit allem, angefangen von der Suche nach einem Immobilienmakler bis hin zum Vertragsabschluss, bei dem neben den Anwälten auch ein Übersetzer zugegen war.
Ich hatte Spanien schon immer geliebt, und nun stürzte ich mich voller Feuereifer in die Renovierung der Wohnung, in der sich eine alte Kapelle befand und die deshalb der sorgfältigen Restauration bedurfte. Ich machte mich auf die Suche nach Handwerkern, die in der Lage waren, ein solches Objekt stilgerecht zu restaurieren – und hatte damit eine Aufgabe, mit der ich mich von der Dopinguntersuchung ablenken konnte.
Kik und ich fühlten uns in die Zange genommen; die lange Zeit der Trennung, die Dopingsache, der Wechsel meines besten Freundes zum Rennstall eines Rivalen, die Entscheidung für den Umzug, die Probleme, ein neues Zuhause zu finden, und nicht zu vergessen die fehlgeschlagene künstliche Befruchtung. Doch so schlimm diese Monate auch waren, Kik und ich versuchten, uns nicht zu sehr entmutigen zu lassen. Dabei half uns, dass wir die ganze Sache immer auch vor dem Hintergrund meiner Krankheit sehen konnten: Dinge wie ein Karriereknick oder die Erniedrigung,die die Dopingermittlung bedeutete, konnten uns nicht schrecken.
Falls wir daran erinnert werden mussten, wie unbedeutend die kleinen Probleme, mit denen wir uns herumschlugen, im Vergleich zu wirklich schrecklichen Schicksalsschlägen waren, dann gab es da immer noch die Krebsnachuntersuchungen.
Ich musste nach wie vor zweimal jährlich zu meinem Onkologen Dr. Nichols in Portland, Oregon, um mir Blut abnehmen und andere Untersuchungen über mich ergehen zu lassen, und es war jedes Mal ein unangenehmes Erlebnis. Offiziell galt man nach einer Krebserkrankung erst nach fünf Jahren als »geheilt«. In diesem Jahr waren Kik und ich zusammen zu meiner Vierjahresuntersuchung nach Oregon geflogen.
Seltsamerweise glaubte jeder, ich hätte die Sache mit dem Krebs ein für alle Mal hinter mich gebracht. Die Leute dachten, ich hätte ihn geschlagen, verjagt, niedergerungen. Aber den Krebs überleben ist eher ein Prozess als eine auf eine
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