Jede Sekunde zählt (German Edition)
luxuriöseste Gemach für eine junge Ehe. Es handelt sich dabei um ein normales Zelt, an das ein Gerät angeschlossen ist, das im Prinzip wie ein Filter wirkt und der Luft einen Teil des Sauerstoffs entzieht, um so die Bedingungen in großen Höhen zu simulieren. Ich verwendete es in Europa häufig, und auch zu Hause in Austin nächtigte ich gelegentlich in einem Höhenzelt, obwohl das bedeutete, ohne Kik und dafür mit einem ununterbrochenen Brummgeräusch im Ohr zu schlafen. Manchmal spielte Luke in dem Zelt, und wenn ich dann zum Schlafen hineinkrabbelte, war es voller Spielzeug und Kekskrümel.
Eines Nachts versuchten Kik und ich gemeinsam in dem Zeltzu schlafen. Anfangs war Kik begeistert: »Das ist so romantisch, wir sollten mal campen gehen.«
Nach ungefähr drei Stunden ging der Alarm los – der Sauerstoffgehalt im Zelt war bedrohlich abgesunken. Nach Luft schnappend und mit rasenden Kopfschmerzen schreckten wir aus dem Schlaf hoch.
»Sorry«, sagte ich. »Ich wusste nicht, dass es nur für eine Person angelegt ist.«
»Wie wär’s, wenn du dir ein Doppelzelt zulegst?«, meinte sie.
Die Art und Weise, so distanziert und ungreifbar, wie die Untersuchung in Frankreich geführt wurde, frustrierte mich zwar immer noch, aber nun, da konkrete Tests vorlagen, fühlte ich mich deutlich besser. Sollte ich tatsächlich ein Betrüger sein, nun, dann würden die Proben, die ich vor der Einführung des Epo-Tests bei der Tour 2000 abgegeben hatte und die ohne mein Wissen aufbewahrt und eingefroren worden waren, die Wahrheit ans Tageslicht bringen.
Drei französische Gerichtsmediziner wurden beauftragt, die Proben zu untersuchen. Jeder Tropfen meines Urins, jede meiner Blutproben und die meiner Teamkameraden würden einer ebenso umfassenden wie erschöpfenden Analyse unterzogen. Bisher hatten wir keine Möglichkeit, unsere Unschuld zu beweisen, aber das würde sich ändern, nachdem die Untersuchungen abgeschlossen waren. Nach Angaben der französischen Behörden sollte es Ende Januar so weit sein, und das bedeutete, dass ich bald von allen Anschuldigungen freigesprochen werden würde. Ich freute mich schon auf den großen Tag, auf die komplette und vollständige Entlastung von allen Vorwürfen.
Doch dieser Tag sollte nie kommen. Der Januar kam und ging, ohne dass irgendwelche Testergebnisse bekannt gegeben wurden. Mehr noch, die Untersuchungsbeamten weigerten sich, mich zu entlasten oder auch nur zu sagen, warum sie die Ergebnisse nicht veröffentlichten.
Der Winter zog sich in die Länge. Ich fühlte mich ungewohnt trübselig und taufte ihn »den Winter des Missvergnügens«. Ein Rückschlag schien auf den anderen zu folgen. So langsam fühlte ich mich regelrecht schikaniert: Unser Müll war durchsucht, mein Blut und mein Urin unter dem Mikroskop analysiert worden, und nun forderten die französischen Behörden auch noch eine Steuernachzahlung.
Im Frühling wurde Johan Bruyneel zu einer Vernehmung nach Paris beordert. Als er dort eintraf, war das Polizeirevier, in dem die Vernehmung stattfinden sollte, von der Presse umlagert. Sämtliche Journalisten der Stadt, so schien es, hatten mit einem Mikrofon oder einer Kamera in der Hand Stellung vor dem Gebäude bezogen. Drinnen wurde Johan drei Stunden lang vernommen. »Ich kam mir vor wie ein Verbrecher«, meinte er hinterher.
Nach der Vernehmung fragte Johan einen Ermittlungsbeamten, warum sich die Untersuchung so lange hinzog. »Alle Tests sind durchgeführt worden«, beschwerte er sich. »Alles ist gemacht worden, und nichts, nichts, nichts ist gefunden worden.«
Der Polizist hatte Mitleid und schien sich fast entschuldigen zu wollen. »Der wissenschaftliche Experte, der die Tests durchführt, ist der Meinung, dass er etwas übersehen haben muss«, sagte er zu Johan. »Er sagt, es sei nicht möglich, dass da nichts ist.«
»Wie bitte?« Johan war fassungslos.
»Er sagt, eine Leistung auf einem so hohen Niveau ist nicht normal. Dieser Typ will etwas finden.«
Das also war unser Problem. Wir waren unschuldig, aber das konnte der französische Wissenschaftler nicht akzeptieren, weil er ganz offensichtlich nur eins wollte: uns schuldig sehen. Wir konnten nur versuchen, die ganze Sache zu vergessen und uns um unsere eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Dennoch, ich hatte das Gefühl, als hätten sie es darauf angelegt, mir das Leben schwer zu machen, wo es nur ging, und schließlich hatte ich genug davon. Ich beschloss, Frankreich zu verlassen, und fing an,
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