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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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mich in Spanien nach einem neuen Zuhause umzusehen.
    Das Leben in Frankreich war in gewisser Hinsicht geruhsam gewesen, die mediterrane Gelassenheit, die immer gleiche Routine des Trainings. Ich würde das Baguette vermissen, die Blumen, die Freunde, die ich hier gefunden hatte, und das Panorama der Berge vor dem Hintergrund des Meeres. Ich würde es vermissen, auf unserer Terrasse zu sitzen und den Sonnenuntergang über den Lichtern der Stadt zu sehen. Was ich nicht vermissen würde, waren die Müllhyänen und die Staatsanwälte.
    Unterdessen drohte die Untersuchung meiner Reputation ernsthaft Schaden zuzufügen. Bill Stapleton stieß bei Vertragsverhandlungen zusehends auf Probleme. Bei Coca-Cola war man wenig erfreut über die negative Publicity, und dasselbe galt auch für andere Sponsoren.
    Das ging so weit, dass Bill schließlich zu ihnen hinging und sagte: »Ich versichere Ihnen, der Junge nimmt keine Dopingmittel, klar? Dafür stehe ich mit meiner gesamten Karriere ein.«
    Wir nahmen Antidoping-Klauseln in unsere Verträge auf: Sollte ich positiv getestet werden, würden die Sponsoren ihr Geld zurückbekommen.
    Zur gleichen Zeit war Bill dabei, einen neuen Vierjahresvertrag mit dem U.S. Postal Service auszuhandeln, der Vertrag, aus dem ich den Löwenanteil meines Einkommens bezog. Aber die Verantwortlichen bei Postal waren sich unsicher, ob sie das gesamte Team erneut unter Vertrag nehmen sollten, und spielten sogar kurz mit dem Gedanken, ganz als Teamsponsor auszusteigen. Und das alles, weil die Franzosen meinten, meine Unredlichkeit beweisen zu müssen. Es war schwer, das nicht persönlich zu nehmen.
    Mitten in diese Sache hinein platzte die Nachricht von einem anderen Verlust, einer, der mich persönlich weitaus härter traf: Kevin Livingston, mein bester Freund und Kollege im Team, verließ U.S. Postal. Kevin wollte mehr Geld und mehr Unabhängigkeit, und er hatte genug davon, nur für mich in die Pedale zu treten. Also kehrte er uns den Rücken und unterschrieb für mehrGeld zunächst bei einem von dem Nahrungsmittelhersteller Linda McCartney gesponserten Team. Doch das Team geriet in finanzielle Schwierigkeiten und stand bald schon wieder vor dem Aus. Daraufhin nahm er ein Angebot vom Team Deutsche Telekom an – als Helfer für meinen Erzrivalen Jan Ullrich!
    Ich konnte es nicht fassen. Kevin und ich hatten nahezu ein Jahrzehnt zusammen im Sattel verbracht. Ich war an seiner Seite gefahren, hatte mit ihm trainiert, hatte mich mit ihm zahllose Berge hinaufgequält. Ich hatte das Gefühl, ihm als Radsportler viel geholfen zu haben, und als Freund war ich bereit gewesen, für ihn durchs Feuer zu gehen. Ich war davon ausgegangen, dass wir bis zum Ende unserer Laufbahn als Sportler zusammen fahren würden. Damals fühlte ich mich vollkommen verraten: Wenn man ein Jahrzehnt lang sehr eng befreundet war, dann, so sah ich das, tat man nicht, was er getan hatte. »Das ist«, sagte ich, »als hätte Colin Powell bei der chinesischen Volksarmee unterschrieben.«
    Kevin und ich sprachen nicht einmal mehr miteinander, eine Sprachlosigkeit, die eine ganze Weile anhielt. Irgendwann fingen wir wieder an, ein bisschen miteinander zu schwatzen, wenn wir auf dem Rad saßen oder uns irgendwo zufällig trafen. Schließlich organisierten gemeinsame Freunde eine Aussprache. Kevin und ich setzten uns zusammen und schafften es endlich, uns auszusprechen. Ein paar Bierchen sorgten als Schmierstoff dafür, dass zwei alte Freunde wieder zusammenfanden. Im Nachhinein betrachtet, war das Problem wohl, dass meine Erwartungen für Kevin eben nicht seine eigenen waren. Ich hatte kein Recht zu bestimmen, was das Beste für ihn und seine Karriere war.
    Aber wir sind seitdem nie mehr als Teamkollegen gefahren, und ich bin bis heute der Ansicht, dass Kevin nicht hätte gehen sollen. Einige Zeit später verlor er die Begeisterung für den Radrennsport und beendete seine Karriere. (Ein Gutes hatte sein Rücktritt: Einmal wenigstens bekamen es die Drogenkontrolleure heimgezahlt. Eines frühen Morgens im Herbst 2002 tauchten siebei ihm auf und klopften mit ihrem Wisch in der Hand an die Tür. Kevin kam ihrer Aufforderung nach – indem er in eine Tasse pinkelte und sie ihnen mit den Worten »Hier. Ich hoffe wirklich, dass Sie etwas darin finden. Ich bin nämlich zurückgetreten« überreichte.)
    Aber der absolute Tiefpunkt des Winters war immer noch nicht erreicht. Der kam, als unser Versuch, ein zweites Kind zu bekommen, fehlschlug. Im

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