Jede Sekunde zählt (German Edition)
Aufbautraining an, eine halbe Stunde auf einem Radtrainer und leichtes Gewichtheben. Nicht lange, und Koivu trainierte fünf Stunden täglich an sechs Tagen pro Woche.
Er kehrte vor Ende der regulären Saison zurück, erzielte zehn Tore in zwölf Spielen und führte die Canadiens anschließend zum Sieg in den Playoffs. Eine unglaubliche Story.
»Soll ich Koivu etwa auch gedopt haben?«, fragte ein verbitterter Chris.
Das Frühjahr rückte näher, und die Untersuchung, die eigentlich bereits im Januar hätte abgeschlossen sein sollen, lief immer noch. Mir kam es vor, als seien die Franzosen entschlossen, so lange Tests durchzuführen, bis sie etwas fanden. Es gab nichts, was ich hätte tun können. Ich war es gewohnt, über mein Schicksal selbst zu bestimmen, sei es auf dem Fahrrad, im Geschäftsleben oder in einem Krankenhausbett. Jetzt aber war ich absolut machtlos.
Alles, und sei es jedes noch so kleine juristische Detail, schien eine Ewigkeit zu dauern. Weil ich immer wieder eine ganze Weile nichts von der Untersuchung hörte, hatte ich manchmal keine Ahnung vom Stand der Ermittlungen, und das wiederum machte mich völlig wahnsinnig. Ich konnte mich nicht verteidigen, durfte nicht mit der Richterin oder den Staatsanwälten sprechen, konnte nichts über Untersuchungsmethoden in Erfahrung bringen, konnte niemanden anbrüllen (außer Bill) und konnte nichts tun, um den Gang der Dinge zu beschleunigen. Ich hasste es, zur Untätigkeit verurteilt zu sein, und damit wiederum trieb ich Bill an den Rand des Wahnsinns.
»Was unternehmen wir heute in dieser Sache?«
»Warum ist die Richterin ständig im Urlaub?«
»Wir müssen etwas unternehmen. Warum machen wir nicht irgendetwas?«
In einem Brief nach dem anderen ersuchte mein Anwalt in Paris die französischen Behörden, die Untersuchung doch bitte zubeschleunigen. Ich wandte mich mit einem Brief direkt an die Richterin und bot ihr meine volle Zusammenarbeit an. Als sich die UCI in einem juristischen Kleinkrieg weigern wollte, den französischen Staatsanwälten meine Blut- und Urinproben auszuhändigen, bat ich den Verband, der Aufforderung zur Übersendung der Proben nachzukommen.
Nichts davon konnte die Franzosen beeindrucken. Dass wir absolut nichts tun konnten, um die Sache zu beschleunigen, machte mir schwer zu schaffen. Bill gelangte sogar zu der Überzeugung, dass sie, umso mehr wir drängten, die Sache umso mehr schleifen ließen. Sophie-Hélène Château hielt alle Macht in Händen und konnte die Untersuchung so lange hinauszögern, wie es ihr beliebte.
Nachts lag ich im Bett, starrte an die Decke und malte mir die schlimmsten Szenarien aus: Was, wenn die Testresultate wegen mangelhafter Untersuchungsmethoden positiv ausfielen? Was, wenn jemand so erpicht darauf war, ein Dopingmittel zu finden, dass er die Ergebnisse manipulierte? Sollte die Untersuchung – wie auch immer – ein positives Testergebnis ergeben, würde die Welt sich an mich nur noch als einen Dopingsünder erinnern. Nur eine Schlussfolgerung waren sie offenbar nicht zu ziehen bereit: dass ihre Verdächtigungen völlig gegenstandslos waren.
»Es wird so ablaufen«, versuchte Bill mich zu trösten. »Eines Tages werden wir aufwachen, und plötzlich ist die Sache vorbei, abgehakt mit einer kurzen Erklärung, dass die Untersuchung eingestellt worden ist.«
»Ich weiß nicht.«
»Wart’s ab«, sagte er. »Sie werden die ganze Affäre heimlich, still und leise begraben.«
Der April kam und mit ihm endlich, wie es schien, gute Nachrichten. Über einen Reporter der Nachrichtenagentur Reuters erfuhren wir, dass alle unsere Proben clean waren – so, wie wir es die ganze Zeit über versichert hatten. Mein Anwalt in Paris rief die Richterin an, und sie bestätigte die Meldung.
Da ich zu der Zeit gerade anlässlich eines Radrennens in Frankreich war, reiste ich nach Paris und beraumte im Hotel George V. eine Pressekonferenz an, auf der ich die Untersuchungsergebnisse bekannt gab: Die Proben aller Postal-Fahrer, nicht nur meine, waren negativ. Ebenso wenig hatten sie irgendetwas in unserem Abfall gefunden. Schachteln und Wattebäusche, sonst nichts.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, ein paar Seitenhiebe zum Tempo der Untersuchung auszuteilen und darauf hinzuweisen, dass just in dem Moment, während ich hier der Presse Rede und Antwort stand, die zuständige Richterin irgendwo im Urlaub weilte. »Wegen dieser Sache liege ich nächtelang wach, warte darauf, dass mein Name endlich reingewaschen
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