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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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vorstieß, war nicht so wichtig. An diesem Tag war etwas anderes viel wichtiger.
    Kik empfing mich an der Ziellinie. Nach den üblichen Formalitäten gingen wir in unser Hotel, damit wir vor dem Abendessen ein paar Minuten in meinem Zimmer für uns alleine haben konnten. Im Hotel zog Kik einen Umschlag aus ihrem Rucksack. In dem Umschlag war das Ergebnis des Ultraschalltests, der uns verraten würde, ob die Babys, die sie unter ihrem Herzen trug, Jungen oder Mädchen waren.
    Als wir im Herbst beschlossen hatten, einen zweiten Versuch zu starten, wussten wir, dass dies aufgrund meines Trainingsplans bedeuten würde, dass Kik die Sache größtenteils alleine würde durchstehen müssen. Zuvor hatten wir unsere Versuche, ein Kind zu zeugen, stets so geplant, dass ich bei allen wichtigen Terminen zugegen sein konnte, aber dieses Mal war uns einfach keine Wahl geblieben. Ein neuerlicher Versuch, ein Kind zu bekommen, bedeutete, dass ich während Kiks Schwangerschaft viel unterwegs sein musste. So war ich auch nicht da gewesen, als sie erfahren hatte, dass wir Zwillinge erwarteten.
    Da wir nicht wollten, dass sie noch mehr allein erfuhr oder wir solche Sachen am Telefon besprechen mussten, hatte sie ihren Arzt gebeten, das Ergebnis der Ultraschalluntersuchung auf ein Stück Papier zu schreiben, es in einen Umschlag zu stecken und ihn dann zu verschließen. Kik hatte den Umschlag mit nach Hause genommen, wo er einige Tage auf ihrem Schreibtisch gelegen hatte, bevor sie ihn in ihren Rucksack gepackt hatte.
    Es war ein wunderschöner Abend in den Alpen, als Kik und ich in mein Hotelzimmer hochgingen, von dem aus man einenBlick über das Dorf hatte. Vom Fenster aus sahen wir ihre Eltern, die mit Bill Stapleton und Bart Knaggs unten in einem Café an der Straße saßen, während Luke auf dem Rasen vor dem Hotel herumtollte.
    Kik zog den Umschlag aus ihrem Rucksack und verkündete, sie habe vor Aufregung schweißnasse Hände.
    »Gib das her«, sagte ich.
    Ich entriss ihr den Umschlag, ging ans andere Ende des Zimmers und öffnete ihn. Ich starrte auf das Papier, warf den Kopf in den Nacken und brach in lautes Gelächter aus.
    »Lass mich sehen, lass mich sehen«, rief Kik.
    Ich neckte sie kurz und hielt den Zettel über den Kopf, bevor ich ihn ihr gab. Kik warf einen Blick darauf und sah die Zahl 2 und den Buchstaben »g«. Einen Augenblick dachte sie, »g« stünde für »garçons« , französisch für »Jungen«. Doch dann schaute sie nochmals und las: »Zwei Mädchen. Herzlichen Glückwunsch.« Kik kreischte vor Freude.
    In gewisser Weise war dies das Letzte, womit wir gerechnet hatten. Die Vorstellung, Zwillinge zu bekommen, hatte mir von Anfang an gefallen. Mich hatte die Möglichkeit fasziniert, diese mit Gemeinsamkeit gepaarte Einzigartigkeit. Wir hatten über zwei Jungen gesprochen, über einen Jungen und ein Mädchen, aber der Gedanke an zwei Mädchen war uns einfach nie in den Sinn gekommen. Aber jetzt, da wir es wussten, waren wir völlig aus dem Häuschen vor Glück. Bart Knaggs und seine Frau Barbara hatten Zwillingsmädchen, zwei strahlende, witzige und blonde Wonneproppen, und Bart hatte beiden beigebracht, »Ich bin ein Genie!« zu sagen. Nun, da wir selbst Zwillinge haben würden, kam es mir wie eine wunderschöne, familiäre Konstellation vor, zwei weibliche Gegenstücke zu Luke zu haben.
    Ich umarmte Kik. Dann riss ich die Tür zum Flur auf und brüllte die Neuigkeit hinaus, damit alle meine Teamkollegen es hören konnten. Danach ging ich zum Fenster hinüber, riss es auf und lehnte mich hinaus über den saftigen grünen Rasen.
    »Hey, Ethel!«, schrie ich hinunter zu Kiks Mutter.
    »Yeah!«, rief sie zurück und schaute hoch.
    »Es sind zwei Mädchen!«
    Unten brach die Hölle los. Alles schrie und jubelte. Ethel weinte, und dann weinte Kik, und wir standen einfach am Fenster und wedelten mit dem Stück Papier. Wenig später gingen wir hinunter, aßen mit den anderen und brachten Toasts auf unsere beiden zukünftigen Töchter aus.
    Der Familienbesuch war nur eine kurze Erholung vom Rennen. Die nächsten Tage führten uns tief in die Pyrenäen hinein. Hier war die Szenerie eine ganz andere. Die Alpen sind durchsetzt mit Industriestädten und Skiorten mit Apartmentgebäuden, die eher Hochhäuser als normale Wohngebäude sind. Die Pyrenäen sind wilder, nicht so groß und hoch wie die Alpen, aber irgendwie ungestümer, mit lang gezogenen grünen Tälern und schneebedeckten Gipfeln. Wie die Alpen aber forderten

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