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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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vom Radfahren gab es für die beiden nicht viel zu tun, und mit der Zeit überforderte das ihre Fähigkeit, sich selbst zu unterhalten. Eines Tages wachten sie auf, und wieder regnete es, und die Straßen waren nass. Also sagte Floyd zu Dave: »Zum Teufel damit, heute fahren wir nicht. Lass uns in ein Café gehen und faul herumhängen.«
    Sie gingen hinunter zur Plaza Mayor, setzten sich in ein Café und sahen den vorbeispazierenden Passanten zu. Floyd bestellte sich einen Cappuccino. Der Cappuccino kam, herrlich aromatisch und obendrauf eine Krone aus aufgeschäumter Milch. Nach einer Weile bestellte er sich noch einen, dann noch einen. Irgendwann fragte Dave: »Wie viele willst du eigentlich noch trinken?« Floyd zuckte mit den Schultern, also tat Dave es ihm gleich und bestellte sich ebenfalls einen Cappuccino. So ging es drei Stunden lang; Floyd und Dave saßen an ihrem Tisch, redeten, orderteneinen Cappuccino nach dem anderen und wurden immer ausgelassener. Als die Rechnung kam, stellte Floyd erstaunt fest, dass er 13 Cappuccinos getrunken hatte.
    Am nächsten Tag kam mir die Geschichte zu Ohren. Floyd war 26, zu gleichen Teilen mit Talent und Übermut gesegnet, und ein viel versprechendes, neues Teammitglied. Ich hatte ihn von Anfang an mit aufmerksamen Augen beobachtet. Er stammte aus einer Mennonitenfamilie in Lancaster, Pennsylvania, und war von dort abgehauen, um sein Glück als Mountainbiker zu versuchen. Später hatte er zum Straßenrennen gewechselt. Er hatte Potenzial, aber er hatte ein paarmal Pech gehabt und wusste ganz offensichtlich noch nicht, wie man sich als Profi verhielt. Floyd war laut und besserwisserisch und liebte es, ZZ Top mit voller Lautstärke laufen zu lassen. Im Verein mit seinen fragwürdigen Trainingsgewohnheiten erweckte das den Eindruck, als sei er ein Bruder Leichtfuß gegenüber den altgedienten Profis im Team, die ihre Arbeit ausnahmslos sehr ernst nahmen. Wenn ihm an einem Regentag nichts Besseres einfiel, als sein Training sausen zu lassen und sich eine Koffeinvergiftung zu holen, dann musste er noch einiges lernen. Floyd war vor allem eins: Er war jung.
    Ich rief ihn an. »Floyd, was machst du morgen?«
    »Oh, ich werde mich mit den Jungs zwei Stunden aufs Rad setzen«, meinte er.
    »Nein, das wirst du nicht«, sagte ich. »Du wirst morgen fünf Stunden mit mir trainieren. Wir müssen uns mal unterhalten.«
    Am nächsten Morgen trafen wir uns und fuhren hinauf in die Berge oberhalb von Gerona. Unterwegs eröffnete ich ihm, dass ich von seiner kleinen Eskapade gehört hatte.
    »Mann, so geht das einfach nicht «, sagte ich. »Du darfst mit deinem Körper nicht so umspringen. Du kannst so nicht trainieren. Vor allem aber darfst du deine Teamkameraden nicht so behandeln.«
    Floyd wusste, dass er Mist gebaut hatte, und reagierte sehr offen. »Ich weiß«, sagte er, »ich weiß.«
    »Du musst dich einfach zusammenreißen«, fuhr ich fort. »Du musst ein Gleichgewicht finden. Du bist kein geborener Profi, also musst du dich in einen verwandeln. Du musst die richtigen Dinge tun. Du musst richtig essen. Und du musst richtig schlafen.«
    Ich wusste, dass Floyd mitten in einem harten Jahr steckte. Sein letzter Rennstall, Mercury, hatte nach dem Ausstieg des Hauptsponsors Bankrott anmelden müssen. Floyd hatte nur die Hälfte des vereinbarten Honorars erhalten und war seit acht Monaten kein Rennen mehr gefahren. Irgendwann hatte er sich aufgerafft und bei U.S. Postal angeklopft. Ob wir Interesse an ihm hätten? Hatten wir. Nun war er einer von 20 Fahrern im Postal-Rennstall und hatte die Chance, von Johan dazu ausgewählt zu werden, mit mir bei der Tour zu fahren – vorausgesetzt, er strengte sich an.
    Aber Floyd war unkonzentriert. Da er seine Kreditkarten bis zum Anschlag belastet hatte, als sein Rennstall Bankrott ging, war er bis über beide Ohren verschuldet. Er hatte Arzt- und Zahnarztrechnungen zu bezahlen und musste eine Frau und eine sechsjährige Tochter versorgen. Er wusste weder, was er von seinem neuen Team zu erwarten hatte, noch, was wir von ihm erwarteten. Er wusste noch nicht einmal, ob er eine Zukunft als Radrennfahrer hatte.
    »Sieh mal her, Kumpel«, sagte ich. »Du musst das auf die Reihe bekommen. Hör auf mich und mach, was ich dir sage.«
    Zunächst erklärte ich ihm die Zahlen. Floyds Gehalt bei Postal belief sich auf 60000 Dollar. Falls er sich ins Zeug legte und es in das neunköpfige Team für die Tour schaffte und wir gewannen, würden dazu nochmals rund

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