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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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er. »Ich glaube, du wirst dich in dem Regenbogentrikot großartig auf dem Siegerpodest der Tour de France machen.« Dieser Traum war zwar schnell ausgeträumt – ich wurde bei der Weltmeisterschaft nur Fünfter. Aber der Gedanke daran, die Tour de France zu gewinnen, hatte sich in meinem Kopf festgesetzt.
    Johan kannte damals vor allem meinen Ruf: ein großartiges Talent, das nicht alles aus sich herausholt, ein Fahrer, der immer wieder ein großes Rennen fährt. Mit 21 hatte ich praktisch aus dem nichts kommend die Weltmeisterschaft und dann noch eine Etappe bei der Tour de France gewonnen. Meistens aber rollte ich monatelang einfach so dahin, brachte ordentliche Leistungen, nichts Großartiges, und entsprach nur einigermaßen der Definition eines »Profis«.
    Damals hatte ich gedachte, ich würde alles geben, was ich zu geben hatte. Nach dem Krebs aber erkannte ich, dass ich nur die Hälfte meines Potenzials genutzt hatte. Um die Wahrheit zu sagen: Vor dem Krebs hatte ich niemals so hart trainiert, niemals so strikt auf meine Ernährung geachtet, mich niemals so aufs Radfahren konzentriert.
    Einmal schleppte ich 15 bis 20 Pfund zu viel Gewicht mit mir herum, zum Teil in Form von Babyspeck, zum Teil eine Folge meiner Vorliebe für Margaritas und Tortillachips. In der Zwischenzeit wog ich wegen des Krebses 20 Pfund weniger.
    Mit Hilfe eines rigorosen Trainingsplans von Johan schaffte ich es, mein Gewicht unten zu halten, und ich entdeckte, was für einen gewaltigen Unterschied das in den Bergen ausmachte, wo dein Körper dein größter Feind ist. Die verlorenen Pfunde, stellte ich fest, brachten mir auf einer Bergetappe zehn bis zwölf Minuten; umgerechnet bedeutete das, dass ich pro Pass, den ich überquerte, rund drei Minuten einsparte.
    Gleichzeitig arbeitete ich daran, ein effizienterer Fahrer zu werden.Als junger Heißsporn stieg ich mit dem Startschuss voll in die Pedale und fuhr einfach drauf los. Im Grund genommen hatte ich keine Ahnung, wie man ein Radrennen fährt. Ich kurbelte große Gänge und rutschte wie wild – und zumeist in der völlig falschen Position – auf dem Sattel herum. Mit Johans und Chris Carmichaels Hilfe suchte ich gezielt nach der aerodynamisch besten Haltung auf dem Rad und nach meiner optimalen Tretfrequenz. Statt auf die Technik zu pfeifen und große Gänge zu drücken, arbeitete ich bei Anstiegen jetzt mit kleineren Gängen und einer höheren Trittfrequenz. Mit der Zeit entwickelte ich mich zu einem technisch extrem guten Fahrer – aus dem jugendlichen Kraftprotz von einst wurde ein trainierter und erfahrener Profi.
    Meinen Sieg bei der Tour de France 1999 verdankte ich weder einem Wunder noch einem Wundermittel, erklärte ich Floyd. Der Sieg war eine Folge der Fähigkeit, den richtigen Moment zu erkennen. Der Sieg war eine Folge des härteren Trainings und der besseren Technik – und meiner Erfahrung mit dem Krebs und der daraus resultierenden Bereitschaft, die nötigen Opfer zu bringen. Andere Gründe gab es nicht. Wer etwas Großes erreichen will, braucht dazu einen starken Willen und absolute Detailbesessenheit. Wenn man sich die großen Sieger dieser Welt betrachtet, erkennt man, dass einige Charisma haben, andere nicht, dass einige groß und andere klein, manche dick und manche dünn sind. Aber eines haben sie alle gemeinsam: die Fähigkeit, sich einer Sache für lange Zeit und mit größter Konzentration zu widmen.
    Seitdem bin ich mehr und mehr auf die Tour de France fixiert, gleichermaßen als persönliche wie auch als objektive Herausforderung. Mir geht es in dem Rennen nicht mehr so sehr darum, die anderen zu schlagen, sondern vielmehr darum, mich selbst zu schlagen. Ich bin besessen davon, alles ein bisschen besser als bisher zu machen, ein bisschen besser als voriges Jahr, als vorigen Monat oder sogar gestern.
    Im Prinzip ist die Tour de France ein mathematisches Problem, eine drei Wochen lange Wettfahrt über dreieinhalb- bis viertausendKilometer, die manchmal mit einem Unterschied von einer Minute oder weniger gewonnen wird. Wie treibt man sich auf seinem Fahrrad durch den Raum voran, manchmal steil den Berg hinauf, mit einem Tempo, das man drei Wochen lang durchhalten muss? Jede Sekunde zählt.
    Auf der Suche nach Zeiteinsparungen musst du bereit sein, jeden Teil deines Körpers und deines Fahrrads unter die Lupe zu nehmen, schärfte ich Floyd ein, in so banalen Dingen wie den Ärmeln deines Trikots nach Bruchteilen von Sekunden fahnden. »Sobald jemand ein

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