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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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bestimmtes Niveau erreicht, ist jeder gut und trainiert jeder hart«, sagte ich. Der Unterschied liegt darin, wer akribischer ist, wer mehr willens ist, jeder noch so kleinen Möglichkeit nachzuspüren, ein bisschen Zeit gutzumachen – und in der Erkenntnis, dass mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung der Zugewinn immer kleiner und kleiner ausfällt.
    Man muss sich zu einem Sklaven der Daten machen, von Leistungsindikatoren wie der Trittfrequenz und der in Watt gemessenen Leistungsabgabe. Man muss im wahrsten Sinne des Wortes jeden Herzschlag messen, jeden Krümel, den man isst, jeden Löffel Weizenflocken, den man sich in den Mund schiebt. Man muss willens sein, wie ein Vampir auszusehen, mit einem Körperfettanteil, der irgendwo zwischen drei und vier Prozent liegt, wenn einen das schneller macht. Bringt man zu wenig auf die Waage, dann fehlen einem die zur Erzeugung einer ausreichenden Geschwindigkeit notwendigen Körperreserven. Wiegt man zu viel, wird der eigene Körper zu einer Last. Worum es geht, ist, das ideale Verhältnis von Kraft zu Gewicht zu finden.
    Wer weiß schon, ob er irgendwann im tiefsten Winter beim Gerätetest im Windkanal den Zeitunterschied herausschindet, der später über Sieg oder Niederlage entscheidet? Manchmal gewinnt man mit einer minimal veränderten Sitzposition, mit einem anderen Helm oder mit einem anders aufgebauten Rad einen zusätzlichen Sekundenbruchteil. Da die Aerodynamik je nach Art der Straße eine andere ist, für leichte Anstiege, steile Kletterpartienund für lange Gefälle, und schon die kleinste Positionsveränderung, beispielsweise die Hände auf den Lenker legen, einen auf 40 Kilometer drei Sekunden kosten kann, arbeitete ich so lange an der Stärkung der Hüftbeuger und der unteren Rückenmuskulatur, bis ich bestimmte Positionen halten konnte. Außerdem trainierte ich Rhythmuswechsel und schnelle Antritte.
    Ich trieb die Leute von Treks Entwicklungsgruppe fast in den Wahnsinn, immer begierig darauf, neue Ausrüstungsteile zu testen, immer auf der Suche nach noch einem Sekundenbruchteil, der sich einsparen ließ. Ich wollte ein leichteres Fahrrad, ein schnelleres Fahrrad, ich wollte bessere Räder. Ich stellte mich mit einem Karbonrahmen, den man locker mit einer ausgestreckten Hand halten kann, hin und sagte: »Hey, Jungs, könnt ihr den nicht noch leichter machen?« Das Gewicht und die Konstruktionsweise eines Fahrrads können bei einem Zeitfahren über 40 Kilometer zehn bis 15 Sekunden ausmachen. Wir experimentierten mit CAD herum und mit Materialien aus der Raumfahrt. Wir installierten sogar ein System zur Flüssigkeitsversorgung, mit dem ich trinken konnte, ohne auf dem Rad von der idealen aerodynamischen Position abzuweichen – was mir vielleicht weitere zehn Sekunden bringen würde.
    Ohne Unterlass spielte ich an meinem Fahrrad herum, veränderte die Sitzhöhe oder schraubte den Lenker ein bisschen höher oder ein bisschen tiefer. Ich wurde so eins mit meinem Fahrrad, dass ich, wie die Prinzessin auf der Erbse, noch die minimalste Veränderung daran wahrnahm. Wenn ein Mechaniker meinen Sitz auch nur um einen halben Millimeter verstellte, merkte ich das sofort und gab keine Ruhe, bis ich wusste, wer an meinem Fahrrad herumgeschraubt hatte.
    Nach Abschluss meiner Behandlung machten College und ich eine Reise durch Europa. Wir mieteten uns einen Renault, und ich fuhr so schnell und rücksichtslos, dass irgendwann etwas im Getriebe den Geist aufgab. Wann immer ich das Gaspedal bis aufs Bodenblech durchdrückte, gab das Getriebe ein leises, schrilles Jaulen von sich – Wheeeeeeeeee.
    Irgendwann einmal, wir waren gerade auf dem Weg von Italien in die Schweiz, wurde ich müde und ließ College ans Steuer – aber erst, nachdem er mir versprochen hatte, die ganze Zeit über mit dem Pedal auf dem Bodenblech Vollgas zu fahren.
    »Drück’s runter bis zum Bodenblech!«, instruierte ich ihn.
    Kurz darauf war ich auf dem Beifahrersitz eingeschlummert. Als College sich sicher war, dass ich eingeschlafen war, ging er vom Gas – und prompt veränderte sich das Wheeeeeeee zu einem Waaaaaaah.
    Eine Sekunde später saß ich hellwach neben ihm und fuhr ihn an: »Runter bis zum Bodenblech, hab ich gesagt!«
    Der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage liegt in den Details, sagte ich zu Floyd. Fortschritte erzielt man in den Details, das gilt auch für das Radrennen. »Und wenn du keine Fortschritte machst«, sagte ich, »kannst du genauso gut rückwärts

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