Jede Sekunde zählt (German Edition)
als ich mich gerade vom Krebs erholte und noch nicht wusste, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen sollte – oder wie viel Leben mir überhaupt noch blieb. Sie arbeitete damals für eine Marketingagentur, die die Öffentlichkeitsarbeit meiner Krebsstiftung übernommen hatte. Wir gerieten uns in die Haare, weil sie mir vorwarf, mich nicht genügend um ein Unternehmen zu kümmern, das als Sponsor die Krebsstiftung unterstützte. Schließlich trafen wir uns zu einem Bier, um in Ruhe über die Sache zu reden – und waren von da an praktisch unzertrennlich. Ich hatte Frauen gekannt,die klug waren oder hübsch oder witzig, aber ich hatte noch keine getroffen, die so viele Dinge auf einmal war wie Kik.
Dave Richard hatte keinen von Kiks Freunden ausstehen können und jeden Einzelnen gezielt vergrault. Schließlich war ihr der Kragen geplatzt, und sie hatte ihn angefahren: »Dad, wie es aussieht, werde ich wohl niemals jemanden finden, der deine Erwartungen erfüllen kann.« Als Dave das hörte, wurde ihm klar, dass er gut beraten wäre, sich zumindest zu bemühen, den Nächsten zu mögen. »Mir ist die Munition ausgegangen«, sagte er zu seiner Frau. Der nächste Typ, den Kik nach Hause brachte, war ich. Als sie mich über die Weihnachtsfeiertage in das Haus ihrer Eltern in Rye im Bundesstaat New York einlud, spielte ich schon mit dem Gedanken, um ihre Hand anzuhalten, und war dabei auch ganz guter Hoffnung, dass sie meinen Antrag annehmen würde. Nach den Feiertagen schickte ich Ethel, Kiks Mutter, eine E-Mail, in der ich mich für ihre Gastfreundschaft bedankte und die ich mit dem Nachsatz »Sie haben eine wunderbare Tochter großgezogen« schloss. In ihrer Antwort schrieb Ethel: »Danke für das liebe Kompliment, aber wollen Sie sich hier einschmeicheln?« Worauf ich erwiderte: »Wenn es funktioniert, ja, dann versuche ich mich einzuschmeicheln.« Nach nur vier Monaten machte ich Kik einen Heiratsantrag.
Bei dem erwähnten Essen zum Hochzeitstag führten wir uns alles vor Augen, was wir seitdem zusammen durchlebt hatten: Wir waren viermal umgezogen, wir hatten drei Kinder in die Welt gesetzt, eine Reihe schlimmer Stürze überstanden, noch mehr medizinische Untersuchungen über uns ergehen lassen und dreimal die Tour de France durchgezogen. Wir hatten alles schnell gemacht. Wir hatten uns schnell ineinander verliebt, schnell geheiratet, schnell ein erstes Kind bekommen, schnell Erfolg gehabt, schnell noch mehr Kinder bekommen – und waren auf dem besten Wege, schnell Probleme zu bekommen.
Von außen wirkte unsere Ehe glücklich und unbeschwert, ein Leben wie aus dem Bilderbuch, und oftmals war sie das auch.
Aber zwischen dem äußeren Anschein, dem, was der Rest der Welt in uns sah und von uns erwartete, und dem, was wir tatsächlich fühlten, tat sich eine immer tiefere Kluft auf. Die Wahrheit war, dass wir am Ende eines Tages genauso waren wie alle Menschen. Die Kinder waren müde und hungrig, und uns Erwachsenen ging es nicht anders. Wenn ich nach Hause kam, war ich körperlich am Ende und Kik erschöpft von einem Tag mit drei Kindern, von denen noch keines drei Jahre alt war. Dazu kam noch unser Unvermögen, uns selbst oder uns gegenseitig einzugestehen, dass wir uns oft ausgelaugt fühlten und Angst hatten, aneinander vorbei zu leben – durften wir es wagen, ganz alltägliches Unglück zu empfinden, obwohl wir doch vom Leben so reich beschenkt worden waren? »Irgendwie habe ich das Gefühl, hier läuft etwas falsch«, war ein Satz, den leider keiner von uns beiden dem anderen zu sagen in der Lage war. Also ließen wir den Dingen ihren Lauf und versuchten, das Beste daraus zu machen.
Ein weitaus anspruchsvollerer Ausdauertest als ein Radrennen ist die Frage, wie man mit den immer gleichen Anforderungen des Alltags umgeht, mit dem weitaus profaneren Problem, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Viele Leute glauben, dass sich die Regeln des sportlichen Wettbewerbs auch auf das Alltagsleben übertragen lassen. Die Wahrheit ist, dass dem manchmal so ist, und manchmal eben auch nicht.
Woran macht man fest, ob man ein guter Partner und ein guter Vater ist? Wenn sich anderswo Erfolge nicht so klar und eindeutig wie bei einem Radrennen erringen lassen, dann deshalb, weil sie, offen gesagt, auch viel mehr Einsatz verlangen. Solche Erfolge lassen sich nicht in Zahlen ausdrücken oder messen, aber das ist auch unerheblich. Denn was sie einem bescheren, ist ein Gefühl der ebenso grenzenlosen wie unermesslichen
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