Jeden Tag ein Happy End
Ich hatte sozusagen einen Präventivschlag vor und hoffte, dass noch niemand anderes Julies Verwandlung vom schlaksigen Entlein mit Zahnspange zur fast-jugendlichen Göttin bemerkt hatte. Dass diese Veränderung mitnichten nur mir aufgefallen war, erfuhr ich am nächsten Tag im Schulbus, als Julie ihre Absage auf Mark Roths Ghettoblaster abspielte. Sie hatte unser Telefonat heimlich aufgenommen. Weitaus schmerzhafter war jedoch der Anblick, wie Marks Hand selbstbewusst in Julies Gesäßtasche wanderte, als die beiden aus dem Bus ausstiegen.
Ich war aber nicht mehr zwölf. Außerdem lag die Hand des einen Hipsters sicher auf dem Oberschenkel seines Retrobruders. Im schlimmsten Fall hatte ich eine einzige Schreckensminute vor mir, und dann konnte ich ja auch immer noch so tun, als wäre ich Ausländer. Je parle plus mauvais anglais .
Ich überlegte, was ich sagen sollte, und das Herz schlug mir bis zum Hals. Womit könnte ich wohl das Interesse dieser möglicherweise weiblichen Ausgabe von Frank Gehry an mir wecken? Sie sah so sexy aus, wie sie dort saß, einen Schluck Kaffee trank und sich mit dramatisch ausholender Geste einen langen Strickschal um den Hals schlang.
»Ja, bitte?« Ein zweiter Angestellter war hinter derTheke aufgetaucht und nahm nun mit geheuchelter Betriebsamkeit meine Bestellung auf. Ich bestellte einen großen Kaffee und einen Brownie. Ich brauchte eine ordentliche Ladung Koffein, um sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Egal was Mike dazu sagte, ich fand es nach wie vor aufdringlich.
Ich ging zur Kasse. Während ich mein Portemonnaie hervorkramte, warf ich wieder einen unauffälligen Blick in ihre Richtung. Sie saß nicht mehr am Tisch. Stattdessen knöpfte sie sich gerade den Fellmantel zu und kam mit ihren Freunden im Schlepptau auf mich zu. Ich war wie gelähmt. Dann waren sie auch schon draußen.
»Sieben achtundneunzig bitte«, sagte der Kassierer.
Ich warf einen Zehn-Dollar-Schein auf die Theke und rannte ihr hinterher.
Es regnete immer noch, deshalb standen die drei eng beieinander unter dem kleinen Vordach. Sie sah genervt in den Regen hinaus und nahm ihre Haare zu einem lockeren Knoten zusammen.
»Hey!«, rief ich, sobald ich aus der Tür war. Mein Puls raste. »Ich war gerade dort in dem Coffee Shop und musste dich die ganze Zeit ansehen. Du bist wunderschön, und ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich nicht fragen würde, ob du mit mir essen gehst.«
Ihr blieb der Mund offen stehen, aber es sah fast nach einem Lächeln aus.
»Könnte ich vielleicht deine Nummer haben?«, fragte ich. Ihre Freunde sahen sie abwartend an.
»Ich gebe Fremden meine Nummer nicht«, antwortete sie und zog ihren Schal fester.
»Und wie wär’s mit deiner E-Mail-Adresse?«
»Die gebe ich auch nicht jedem«, sagte sie freundlich und drehte sich wieder zu ihren Freunden um.
Plötzlich erschallte Mikes Stimme in meinem Kopf: »Als Erstes sollten Sie immer sagen, wo Sie arbeiten.«
»Dann schreib doch du mir , vielleicht an meine Büroadresse. Ich arbeite bei ›The Paper‹«, platzte es aus mir heraus. »Ich schreibe die Hochzeitskolumne.«
»Ich liebe diese Kolumne!«, meldete sich Hipster Nummer zwei zu Wort. »Ich meine, ich finde sie faszinierend, auf eine ironische Art und Weise«, korrigierte er sich schnell.
Sie drehte sich deutlich interessierter wieder zu mir um, deshalb legte ich nach. »Du kannst ja mal online meine Kolumnen aufrufen. Da steht immer mein Name dabei, und wenn du darauf klickst, kannst du mir eine E-Mail schreiben.« Ich hielt den Atem an und wartete auf ihre Reaktion.
»Und wie heißt du?«, fragte sie wunderbarerweise.
»Gavin. Gavin Greene.«
»Ich bin Téa.« Sie streckte mir ihre Hand hin, und ich nahm sie. Hipster Nummer zwei stellte sich mir auch sofort vor, aber ich hörte gar nicht zu.
»Wie fängt denn eine gute Hochzeitsgeschichte so an?«, fragte sie.
»Mit zwei Menschen, die sich während eines Platzregens kennenlernen«, gab ich zurück.
»Es hat schon fast wieder aufgehört«, meldete sich Hipster Nummer eins plötzlich genervt zu Wort. »Wir müssen weiter.«
»Morgen Abend schon was vor?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete sie.
»Und übermorgen?«
»Die ganze Woche ist schon ziemlich voll«, sagte sie und sah zu Boden.
»Wie wär’s dann mit heute Abend?« Damit hatte sienicht gerechnet. Damit hatte auch ich nicht gerechnet. Manche Leute mögen einfach keine Überraschungen.
»Heute?« Ihre Stimme wurde plötzlich zwei Oktaven
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