Jeden Tag ein Happy End
Glasschreibtisch, ein Couchtisch aus Glas, Glasregale. Draußen vor den Panoramafenstern trieben graue Wolken am Himmel.
»Alles oder nichts!«, sagte er und deutete mit dem Finger auf mich. War das jetzt gerade ein Dating-Tipp oder ein Zitat aus einem Vin-Diesel-Film?
»Das klingt in Ihren Ohren bestimmt alles ein bisschen steinzeitlich«, fuhr Mike fort, »aber wir sind nun mal Tiere und haben dementsprechend tierische Instinkte. Ich weiß, wenn ich Hunger habe. Ich weiß, wenn ich Angst habe. Und ich weiß, wenn ich jemanden anziehend finde.«
Und ich weiß, wann man ein Interview beenden sollte.
»Als ich Amy damals in der Bahn gesehen habe, hat sich alles in mir nach ihr verzehrt«, sagte er. »Das war nicht nur körperlich. Das war geistig. Sie wenden ganz richtig ein, dass ich sie ja gar nicht kannte, aber so kitschig das auch klingt, ich hatte trotzdem das Gefühl, sie zu kennen. Von ihr ging eine Freundlichkeit aus, eine gewisse Charakterfestigkeit, Neugier und Intelligenz. Genau die Dinge, die ich nun jeden Tag an ihr bewundern darf.«
Unwillkürlich wanderte sein Blick zu einem Foto auf dem Schreibtisch. Darauf zu sehen war Amy auf dem Wochenmarkt am Union Square. Sie drehte sich gerade um und sah sehr glücklich aus. Eine Hand streckte sie nach der Kamera aus. Nein, nicht nach der Kamera. Nach ihm.
»Wäre ich nicht meinem Instinkt gefolgt, hätte ich für den Rest meines Lebens darüber nachdenken müssen, was hätte sein können«, sagte Mike. Er betrachtete immer noch das Foto. »Ich würde noch immer verloren durch die Stadt laufen, im Internet nach ihr suchen, hoffen, sie wiederzufinden. Stattdessen heirate ich jetzt die Frau, die ich liebe.«
Mittlerweile war mir egal, wie kitschig das alles klang. Ich wollte genau das, was er hatte. Ich wollte, dass mich jemand auf einem Foto verliebt ansah. Jemand, mit dem ich im Dunkeln liegen und reden konnte. Jemand, der mit mir vor den Altar trat.
»Die Richtige zu treffen, ist Zufall«, sagte Mike. »Es kommt darauf an, dann auch etwas daraus zu machen. Wenn jemand etwas in dir auslöst, handele sofort. Du fühlst was, also tust du was. Das muss man so lange üben, bis es ganz von alleine abläuft. Wie ein Abschlag beim Golf, der kommt ja auch irgendwann einfach so aus dem Handgelenk.«
Beim Golf stellte ich mich leider genauso ungeschickt anwie bei den Frauen. »Und was, wenn es die Falsche ist?«, fragte ich.
»So was gibt’s nicht.«
»Oh doch«, antwortete ich, »so was gibt es.«
»Wenn es die Falsche war, wartet man eben auf die Nächste.«
»Wäre es nicht viel praktischer, von Anfang an die Richtige auszusuchen? Wenn ich so viel Zeit und Energie darauf verwende, dann sollte es doch für eine sein, die das auch will.«
»Woher soll man denn vorher wissen, ob diejenige das will?«
»Genau das will ich ja von Ihnen hören«, sagte ich. »Sollte ich nicht wenigstens auf ein winziges Zeichen von der Frau warten?«
»Eine Frau muss kein Interesse zeigen«, antwortete Mike mit Nachdruck. »Eine Blume muss ja auch nur Blume sein. Aufgabe der Biene ist es, auf die Blume zuzufliegen. Wenn sie dich anlächelt, schön. Wenn sie dich auscheckt, noch besser. Das muss sie aber nicht. Du bist die Biene. Du bist derjenige, der Interesse bekunden muss, auch wenn du dafür erst mal nichts zurückbekommst. Du bist immer noch eine Biene, und eine Biene braucht eben Honig zum Leben.«
Ich dachte immer, Bienen ernährten sich von Pollen, trotzdem schrieb ich alles so schnell ich konnte mit. Wie ein verzweifelter Nachhilfeschüler kurz vor der Klausur.
»Normalerweise kostet die Stunde bei mir hundertfünfzig Dollar«, sagte Mike und lehnte sich mit einem zufriedenen Grinsen in seinem Sessel zurück. »Kleiner Scherz.«
Dann drückte er mir seine Visitenkarte in die Hand.
Sei eine Biene!
M ikes Bienenmetapher war viel zu verallgemeinernd und chauvinistisch. Trotzdem konnte ich mich der Logik nicht ganz entziehen. Bienen sind keine Blumen. Blumen sind keine Bienen. Das lag auf der Hand, sollte man meinen. Dennoch hatte ich jahrelang darauf gewartet, dass Blumen sich wie Bienen verhielten.
Ich war fest entschlossen, diese neue Erkenntnis sofort umzusetzen. Ich lief im Nieselregen die Wooster Street entlang und hielt Ausschau. Leider waren keine Blumen unterwegs. Egal. Seit Tagen fühlte ich mich zum ersten Mal wieder optimistisch und voller Energie.
Dann brach die Sintflut über mich herein.
Es donnerte gewaltig, und der Himmel wurde von zuckenden
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