Jeden Tag ein Happy End
Ibiza zurückdenkt, dessen Erinnerungen dabei jedoch nicht Ibiza gelten.
»Sie raten Ihren Kunden also, einfach wildfremde Frauen anzusprechen?« Ich tat immer noch so, als hätten meine Fragen nur mit dem Hochzeitsartikel zu tun.
»Frag sie, wie spät es ist. Das bricht das Eis.«
»Mich haben schon oft Frauen nach der Uhrzeit gefragt, und ich glaube nicht, dass die mich alle anmachen wollten.«
»Das sollten Sie aber! Sie sind ein gut aussehender Typ und haben einen beeindruckenden Job. Sie sollten überhaupt keine Probleme haben, Frauen kennenzulernen.«
Wieso ging er dann davon aus, dass ich Probleme hatte?
»Als Erstes sollten Sie immer sagen, wo Sie arbeiten. Ich kenne einen Kerl vom ›Wall Street Journal‹, der ist mit einem Versace-Model zusammen, dabei ist er total dämlich. Sie sind dieser Typ sensibler Hochzeitskolumnist. Darauf stehen die Frauen doch.«
Die Lesung an der N. Y. U. war fast eine ganze Woche her, und ich hatte mittlerweile aufgehört, nach Melinda zu suchen. Nur ab und zu, auf dem Weg zur Arbeit oder in der U-Bahn, hielt ich noch Ausschau nach ihr. Ich hatte keine neue Frau kennengelernt, fand das aber auch in Ordnung. Mein Gefühl sagte mir, dass Mike anderer Meinung wäre.
»Gavin, wann haben Sie das letzte Mal eine Frau auf der Straße einfach so angesprochen?« Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich das überhaupt jemals in meinem Leben getan hatte, aber er redete schon weiter. »Was tun Sie, wenn Sie auf der Straße einer attraktiven Frau begegnen?« Aus dem Interview war ein Krisengespräch geworden.
»Ich sehe sie an«, sagte ich. Mike wartete schweigend darauf, dass ich weitersprach. »Manchmal bleibe ich auch stehen und sehe ihr hinterher.«
»Gut. Das ist ein erster Schritt.«
»Ein erster Schritt, um wie ein Perverser zu wirken?«, fragte ich.
»Nein, der erste Schritt dahin, herauszufinden, was Sie wollen. Und dementsprechend zu handeln.«
Und mir hatte man immer eingebläut, keine Schlussfolgerungen zu ziehen, bevor ich nicht alle Fakten zusammenhatte.
»Von der ersten Sekunde an, als ich Amy auf der siebenundfünfzigsten Straße gesehen habe, wusste ich, die will ich haben«, sagte Mike.
»Ich dachte, Sie hätten sich in einer U-Bahn-Station getroffen.«
»Das ist die jugendfreie Version. Sie ist an mir vorbeigelaufen, während ich mich gerade nach einer Zeitung bückte, und hat mir auf den Hintern gestarrt. Das würde sie nie zugeben, es stimmt aber. Sie hat sich umgedreht und mich mit ihren großen braunen Augen angesehen, und ich war sofort hin und weg. Ich bin ihr in die U-Bahn-Station hinterhergerannt, hab sie dann aber in der Menschenmenge aus den Augen verloren. Ich war am Boden zerstört und bin einfach in die nächste U-Bahn gestiegen. Ich sehe hoch, und da steht sie. Gavin, Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich sie wollte. Und ich rede jetzt nicht davon, dass ich Sex wollte, das versteht sich ja von selbst. Nein, ich meine, ich wollte mein Leben mit ihr verbringen. Es war ein ganz deutliches Bauchgefühl.«
»Sie kannten sie doch aber überhaupt nicht«, entgegnete ich. Das sagte mir mein Bauchgefühl.
»Man muss seinen Gefühlen trauen. Wenn man anfängt, sich selbst zu hinterfragen, ist es vorbei.«
Die einen nannten es sich selbst hinterfragen, die anderen nannten es vernünftige Entscheidungen treffen. »VielePsychologen sehen das anders«, erwiderte ich. »Glückliche Beziehungen basieren nicht ausschließlich auf physischer Anziehung.«
»Das meine ich auch überhaupt nicht. Mich frustriert es, wenn Leute körperliche Anziehung als Ausrede dafür benutzen, eine Beziehung zu erhalten oder zu beenden. Gavin, Sie glauben gar nicht, wie oft ich mir das anhören muss. ›Wir hatten unglaublich tollen Sex, wieso ruft sie mich jetzt nicht mehr an?‹ Oder: ›Der Sex war nicht so super, wieso sollte ich mich noch mal mit ihr treffen?‹ Das ist doch alles völliger Quatsch. Ich rede davon, den Moment zu leben, sich seiner Gefühle bewusst zu sein. Einen Tag oder einen Monat später fühlt man vielleicht nicht mehr dasselbe, aber darum geht es nicht. Es geht darum, seine Gefühle ernst zu nehmen, und zwar in dem Moment, in dem sie da sind.«
Dieses Therapeutengewäsch sprudelte mit der Leidenschaft eines Autohändlers aus ihm heraus. Sein Mitgefühl und die richtigen Worte unterstrich er durch Augenkontakt mit seinem Publikum und durch eine offene Körpersprache. Sogar seine Einrichtung war absichtlich transparent gewählt. Ein
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