Jeden Tag ein Happy End
Meine Einkäufe ließ ich einfach liegen. Ich öffnete meinen Browser und tippte www.JDate.com ein.
Bis jetzt hatte ich immer einen großen Bogen ums Online-Dating gemacht. Es erinnerte mich zu sehr ans Shoppen, und darin bin ich überhaupt nicht gut. Mich überfordert das Angebot, und ich kaufe dann entweder gar nichts oder einfach irgendetwas, damit ich wenigstens nicht umsonst da war.
Ich pulte das weiße Brustfleisch von meinem Hähnchen und scrollte mich langsam durch die Fotos jüdischer Singlefrauen. Ich wollte es bei JDate versuchen, weil ich es angesichts meiner missglückten Beziehungsversuche für ratsam hielt, bei Frauen anzufangen, mit denen ich zumindest schon einmal eine Gemeinsamkeit hatte. Da es leider keine Website gab, die sich speziell an demnächst arbeitslose Menschen mit literarischer Veranlagung richtete, musste ich mich eben mit JDate begnügen.
Schnell wurde klar, dass man das Wort »arbeitslos« lieber nicht erwähnen sollte. Selbst mit einem Job konnte ich den Ansprüchen auf der Seite nicht genügen. Zumindest nicht den Anforderungen der schlanken Manhattan-Ladys mit Ivy-League-Abschluss. Zugegeben, meine eigenen Ansprüche waren vielleicht auch etwas zu hochtrabend. Jedenfalls war ein sechsstelliges Einkommen häufig die Voraussetzung für eine erste Kontaktaufnahme. »Groß« und »erfolgreich« wurden auch genannt, ebenso wie »sollte sich im Smoking genauso wohlfühlen wie in Jeans«. (Ging es hier um James Bond oder was?) Die Nummer eins auf der Wunschliste war jedoch ein »richtiger Mann«. Was denn sonst? , dachte ich. Ein falscher Mann? Schon klar, dass niemand nach dem falschen Mann für sich suchte.
George Clooney wurde so oft als Idealtyp genannt, dass ich ernsthafte Zweifel daran bekam, ob die hier alle noch ganz dicht waren. Ich war natürlich keinen Deut besser und klickte auf jedes Foto, auf dem die betreffende Frau auch nur annähernd Ähnlichkeit mit Natalie Portman hatte.
Irgendwie kam ich mir schäbig dabei vor, wie ich mich hier vom bläulichen Schimmer meines Bildschirms beleuchtet durch die Profile klickte. Fehlte nur noch der Trenchcoat.
Und dann sah ich sie. Es war mittlerweile morgens um eins. Sie. Genau die Richtige. Sie nannte sich ComeFlyWithMe. Die gleichen mandelförmigen Augen, der gleiche dunkle Teint, die gleichen dunklen Locken wie Emmanuelle Chriqui (und auch das gleiche Dekolleté). Sie war Grafikdesignerin, liebte Frosties und trainierte sich die Kohlenhydrate beim Joggen um den Hudson und beim Tanzen wieder ab. Ihr Lieblingsort war ein internationalerFlughafen, »weil es dort so viele Wege und Möglichkeiten gibt«. Sie suchte nach einem intelligenten, witzigen Mann, er sollte »leidenschaftlich sein und gern singen«.
Das war ja wohl die perfekte Beschreibung meiner Person.
Das musste ich ihr jetzt nur noch beweisen. Ich machte mich sofort daran, eine Antwort-Mail zu formulieren. Sie sollte originell sein, ungekünstelt, selbstbewusst und dennoch bescheiden, möglichst gebildet klingen, aber dabei auch spritzig sein. Leichter gesagt als getan. Es war ganz schön schwierig, clever rüberzukommen, ohne dabei total eitel zu wirken. Noch schwerer war es, gleichzeitig sexy und bodenständig zu klingen. Nach etwa einer Stunde war ich kurz davor, einfach »ich bin ein richtiger Mann« zu schreiben und es dabei zu belassen.
Es war bereits nach zwei, als ich endlich mit der E-Mail an ComeFlyWithMe fertig war. Jetzt musste ich mir nur noch einen witzigen Betreff ausdenken. Nach einer weiteren halben Stunde hatte ich mich für I’VE GOT A CRUSH ON YOU entschieden, als Sinatra-Referenz. Ich klickte auf SENDEN . Eine Sprechblase erschien auf dem Bildschirm und informierte mich darüber, dass ComeFlyWithMe gerade online war. Ein Symbol blinkte auf. MÖCHTEN SIE LIVE CHATTEN?
Ich hatte fast zwei Stunden für die E-Mail gebraucht. Ein Live-Chat setzte mich viel zu sehr unter Druck.
Aber falls sie ebenfalls die Anzeige gesehen hatte, dass ich gerade online war? Würde sie sich nicht wundern, dass ich nicht chatten wollte? Auf einem Foto, auf dem sie ein ärmelloses gelbes Sommerkleid trug, blitzte mich ihr Lächeln an. Obwohl ich nicht ihr Lächeln anstarrte.
»Nettes Strandfoto«, schrieb ich.
Keine Antwort. Eine ganze Minute lang. Dann: »Hastdu nichts Besseres zu tun, als dir mitten in der Nacht meine Fotos anzusehen?«
Ich fühlte mich wie ein Fünfjähriger, den man dabei erwischt hatte, wie er einem Mädchen unter den Rock sah. (Das ist mir nur
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