Jeden Tag, Jede Stunde
verstehe nicht.«
»Sie war schon einmal schwanger von mir, und ich wollte das Kind nicht, und sie hat abgetrieben, und ich habe sie verlassen. Ein Mal sollte genug sein.«
Dora setzt sich und beugt sich über Luka. Zärtlich, ganz sanft gleitet ihre Hand über sein Gesicht.
»Das ist schrecklich. Es tut mir leid.«
»Das erste Mal war ich wirklich ein widerliches Schwein, ich habe sie total mies behandelt. Ich hatte sie sehr gern, aber als sie gesagt hat, dass sie schwanger ist, und dann noch vor meinem Vater und Ana, bin ich durchgedreht, ich habe keine Luft mehr bekommen, mein ganzes Leben hat sich dagegen gewehrt. Es war einfach nicht richtig, nichts war richtig. Ich habe gar nichts gesagt, nicht direkt, und trotzdem war ihr natürlich alles klar, und sie hat getan, was ich wollte, ohne dass ich es aussprechen musste. Und dann, sie hat so gelitten deswegen und mich so geliebt, dass sie alles getan hätte, alles, was ich wollte, aber ich, ich konnte das nicht ertragen, sie hat sich gar nicht gewehrt, ich fand es schrecklich, also habe ich sie einfach verlassen, ich bin weggegangen, kein Wort zu ihr, nichts, ich war grauenhaft. Ich habe mich so geschämt, aber ich konnte nicht anders, mein Leben war nicht mehr hier, das habe ich genau gespürt.«
Dora umarmt ihn. Sie wiegt ihn hin und her, und sie weiß, dass er das noch niemandem erzählt hat.
»Es sind immer zwei in einer Beziehung, die Fehler machen und die Verantwortung dafür tragen.«
»Ja, aber einige mehr, einige weniger.«
»Du hast recht. Weglaufen ist keine Lösung.«
Die Sonne geht unter. Die Luft ist duftig und mild und verführerisch. Dora könnte wieder sechs Jahre alt sein, so trügerisch ist die Zeit.
»Hättest du nicht auch Verantwortung für das Kind übernehmen können, ohne sie gleich zu heiraten?« Dora flüstert. Es sind die wichtigsten Augenblicke ihres Lebens, und dieses Gefühl macht sie leise und nachdenklich und vorsichtig und für alles offen. Aber es wird ihr auch ein wenig schwindlig.
»Ich weiß es nicht, vielleicht. Es hat sich so ergeben, so angefühlt, als hätte ich keine Wahl gehabt, als hätte ich etwas gutzumachen. Schulden zu bezahlen.«
»Luka, du bist nur dir selbst etwas schuldig.«
»Es war so dieses Gefühl, weißt du, dass ich etwas tun muss, als würde jeder darauf warten, keiner hat etwas gesagt, nein, aber alle haben mich angesehen … Es ist eine kleine Stadt, Dora, ein Dorf, jeder kennt jeden, alle wissen alles …«
Dora hält Luka wie ein neugeborenes Kind, sanft und behutsam, und hofft, dass er sich beruhigt. Und bei ihr bleibt. Alles andere rückgängig macht. Ungeschehen.
»Und sie hat nichts gesagt, nicht ein einziges Wort, hat einfach gewartet, war nur da, und schon befanden wir uns auf dem Standesamt, und ich habe Ja gesagt und bin in Ohnmacht gefallen …«
Dora weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Alles kommt ihr so grotesk vor. Albtraumhaft.
»… und du warst nicht da, ich habe bis zum letzten Moment gehofft, dass du mich da rausholen würdest, mich retten, wie Indiana Jones, oder wie ein …«
»Wie ein richtiger Prinz, meinst du.«
»Wie ein richtiger Prinz.«
»Aber du bist der Prinz! Mein Prinz, weißt du nicht mehr?!«
»Ein richtiger Prinz.«
Es ist dunkel und die Luft ist frisch und regungslos und der Himmel ist voller Sterne und der Mond nimmt zu. Es riecht nach blühenden Bäumen und ruhendem Meer. Das Leben zelebriert sich selbst. Jedes Jahr von Neuem.
»Liebst du sie?«
»Ich liebe dich, und ich will mein Leben mit dir verbringen.« Luka spricht wie jemand, der seine Probleme weitergeleitet hat und sich keine Sorgen mehr machen muss, um nichts, denn ein anderer wird sich schon um alles kümmern und er kann wieder sorglos mit seinen Freunden spielen gehen. Sandburgen bauen, auch wenn es in Makarska keine Sandstrände gibt. Wasserball spielen. Oder Fußball. Oder aber malen. Einfach er selbst sein.
»Was machen wir jetzt?« Es könnte eine rhetorische Frage sein, oder es könnte sein, dass Dora sich selbst die Frage stellt. Auf keinen Fall ist die Frage an Luka gerichtet. Umso mehr überrascht er sie mit seiner Antwort.
»Wir könnten sie umbringen.«
21
Luka verlässt Doras Zimmer. »Das vorhin, das war doch ein Scherz, oder?«, hat sie noch unsicher gesagt an der Tür. Er hat sie liebevoll und müde angesehen und an sich gedrückt. »Natürlich«, flüsterte er. Er verlässt das Hotel. Es ist drei Uhr morgens. Sie haben fast keine Minute geschlafen. Die
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