Jeden Tag, Jede Stunde
klare Nacht umarmt ihn, kühl und erfrischend. Frühling am Meer. Luka hat es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Er weiß, was er tun sollte. Er weiß nur nicht, ob er den Mut dazu hat. Er geht einen Umweg. Die Stadt ist ihm plötzlich zu klein. Wäre er doch nur bei Dora geblieben! Bei ihr fühlt er sich stark und entschlossen. Schließlich steht das Haus vor ihm. Und auf der Treppe vor der Tür sitzen Ana und Toni. Ana ist eben einundzwanzig geworden. Als sie ihn erblickt, springt sie auf und läuft ihm entgegen. Toni bleibt sitzen.
»Wo warst du? Wir suchen dich schon den ganzen Abend! Wo hast du gesteckt?« Sie ist nur einen Schritt von hysterisch entfernt, was für sie sehr untypisch ist. Laut und aufgeregt, ja; hysterisch, nein.
»Was ist los? Ist was passiert?«
Luka ist angenehm müde und vermisst Dora jetzt schon, und er hat Angst vor Auseinandersetzungen. Vor allem aber will er sich nicht streiten und, wenn möglich, Klara aus dem Weg gehen. Er will sich nicht aufregen, er will das Dora-Gefühl in sich behalten.
»Was los ist!? Papa hat vor Stunden schon Klara ins Krankenhaus gebracht, während du Gott weiß wo warst!« Ana ist wirklich wütend, sodass Toni schließlich auch aufsteht, zu ihnen kommt und einen schützenden Arm um Ana legt.
»Warum?«
»Warum!? Warum!? Weil sie ein Kind von dir bekommt, du … du …« Sie findet kein Schimpfwort, das ihr Empfinden ihrem Bruder gegenüber in diesem Moment ausdrücken könnte.
»Aber es ist noch zu früh.« Luka lässt sich nicht in die Panik hineinziehen, die Ana um sich verbreitet. Sein Leben hat gerade heute wieder einen Sinn gefunden. Und das will er auf keinen Fall aufs Spiel setzen.
»Natürlich ist es zu früh, aber sie hat Wehen bekommen, da kann man nichts machen, man kann nicht sagen, liebes Kind, es ist zu früh, warte noch ein paar Wochen, bleib da, wo du bist, das geht nicht, du Schwachkopf, wenn die Wehen kommen, dann kommt auch das Kind und du warst nicht da, Papa hat sie ins Krankenhaus gefahren und du warst nicht da, es ist aber dein Kind und deine Frau, wo warst du, wo warst du den ganzen Tag, keiner hat dich gesehen …«
»Ich war beschäftigt.«
»Beschäftigt? Was heißt das? Womit?«
»Ich hatte Besuch.«
»Was für Besuch? Papa hat gesagt, du hast dich im Hotel vertreten lassen. Was ist los mit dir?«
Luka weiß, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, um Dora ins Gespräch zu bringen. Klara ist im Krankenhaus, sie bekommt das Kind. Sie zählt auf ihn, das hat er ihr versprochen. Er hat sie geheiratet, er wollte sich um sie und das Kind kümmern, dazu hat er sich verpflichtet. Das ist ihm damals als das einzig Richtige vorgekommen. Und in ihrem Hotelzimmer, im Zimmer, das er für sie ausgesucht hat, schläft Dora und vertraut ihm und glaubt an ihn und an das, was sie haben, was nur sie haben, haben können, einmalig und einzigartig. Diese Liebe, wie der endlose Ozean.
Und schon muss Luka zählen: Eins, zwei, drei, vier, und den Atem anhalten und bekommt einen Schlag auf den Kopf von Ana.
»Mach jetzt keinen Mist, hörst du mich!«
Luka sieht sie nur entgeistert an.
»Beweg dich, wir müssen ins Krankenhaus!«
Lukas Blick schwankt zwischen Anas und Tonis Augen hin und her, nach Antworten suchend. Er schüttelt den Kopf. So sollte es nicht sein, das ist falsch. Und er ärgert sich über Klara, die zu früh das Kind bekommt und ihn in so eine unmögliche Lage bringt. Ausgerechnet heute. Und so wird Luka allmählich wütend, so abgrundtief wütend, auf jeden und alles, wie ein Wasserfall aus Hass, Hilflosigkeit, Trauer und Erbitterung überwältigen ihn diese Gedanken, und er liegt am Boden, voller Angst.
»Was soll ich nur machen!« Ein stiller Schrei einer gequälten Seele.
Ana sieht ihn eingehend an, lächelt dann kurz und nimmt ihn an die Hand.
»Komm, ich bin bei dir.«
Und so gehen sie alle drei zusammen und Luka ist nach Weinen zumute.
Dora muss nicht einschlafen. Denn sie träumt schon. Mit weit geöffneten Augen. Und nichts kann ihr diese Ruhe und Zuversicht nehmen. Das Lächeln auch nicht. Schlafen wäre Zeitverschwendung. Das Leben ist voller Wunder. Dora sitzt auf dem Balkonstuhl und saugt den silbernen Schimmer des Meeres in sich hinein. Dora denkt über Sekunden nach, die ein Leben bestimmen. Die nicht vorauszusehen sind. Die einfach plötzlich da sind. Für immer und ewig.
Im Krankenhaus ist es ruhig. Es sieht verlassen aus. Wie nach einer Naturkatastrophe, die keiner überlebt hat. Toni
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