Jeden Tag, Jede Stunde
benutzt. Meistens.«
Dora schlägt mit der Faust auf den Tisch.
»Wie konnte das dann passieren?!«
»Ich weiß es nicht.« Luka weiß es tatsächlich nicht. Er glaubt an ausgleichende Gerechtigkeit, das sagt er aber Dora nicht.
»Das ist ungerecht.«
»Ja, ich nehme an.«
»Was heißt das, du nimmst es an?!«
»Ich habe schon gesagt, dass es kompliziert ist.«
»Was ist daran kompliziert?! Bis jetzt ist alles sehr einfach und eindeutig.« Dora lehnt sich über den Tisch. Ihre Gesichtszüge sind verzerrt.
»Da gibt es eine Vorgeschichte.« Langsam und leise spricht Luka.
»Das habe ich verstanden, aber das ist kein Grund …«
»Sie war …«
»Wie heißt sie?«
Luka sieht sie unsicher an.
»Ich will wissen, wie sie heißt.«
»Aber vorhin …«
»Ich will nicht mit Gespenstern zu tun haben, wenn ich sie …« Dora lehnt sich wieder zurück in ihren Stuhl und macht Atemübungen. Luka kennt das. »Also, wie heißt sie?« Ihre Stimme ist ruhig, was Luka gar nicht beruhigt. Nein, ganz im Gegenteil.
»Klara.«
»Klara.«
»Ja, Klara.«
Das Große Schweigen. Als säßen sie plötzlich zu dritt am Tisch. Als wäre jetzt alles gesagt und dadurch alles klar. Vorhang zu. Exit Dora.
»Lass uns zum Felsen gehen.«
Mit jedem Schritt wird alles bekannter und deutlicher und geliebter. Das Meer, die Kieselsteine, das gelbe Haus, der schmale Weg zum Leuchtturm. Als hätte sich nichts verändert. Als wäre sie nie weg gewesen. Dora ist nach Weinen zumute. Und sogar das ist eine Erinnerung. Hinter dem Leuchtturm bleiben sie stehen. Sie schauen aufs Meer hinaus. Alles Mögliche fällt ihnen ein. Möwen kreischen über ihren Köpfen. Eine leichte Brise spielt mit Doras Locken.
»Kann das sein, dass ich wirklich erst vor ein paar Stunden angekommen bin?« Als würde sie zu sich selbst sprechen.
»Es ist eher so, dass du gar nicht weg warst.«
Luka nimmt sie in die Arme und küsst sie. Sie erwidert seinen Kuss. So verweilen sie eine lange Zeit.
»Lass uns weitergehen.«
Und sie gehen Richtung Felsen, von der Nachmittagssonne gewärmt. Sie begegnen zwei Liebespaaren, die weder Zeit noch Interesse an ihnen haben.
»Es muss doch hier irgendwo sein.« Dora schaut aufgeregt über den Rand in die Tiefe.
»Ja, nur noch ein paar Schritte, komm.«
Luka zieht sie weiter, und hinter einem betörend duftenden Ginsterbusch fängt er an hinunterzusteigen. Er folgt dem engen Pfad und Dora ihm. Ihr wird von dem gewaltigen Erinnerungsschub schwindlig. Wie Schläge in den Rücken, die sie vorantreiben. Noch ein paar Schritte, und noch ein paar Schritte, und dann sind sie da, sie hocken vor der versteckten Tunnelöffnung. Sie sehen sich an.
»Wir sind zu groß!« Dora will es nicht glauben.
»Unsinn, das schaffen wir. Es wird nur nicht so leicht sein wie vor fünfzehn Jahren.« Luka lacht zuversichtlich.
»Dann geh du zuerst.«
»Gerne, meine Liebe, du warst immer schon ein kleiner Angsthase.«
»Ich? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich bin doch kein …«
Luka legt seinen Mund über ihre Worte und küsst sie, und sie hört auf zu reden und sich aufzuregen.
»Du hast dich gar nicht verändert. Ich liebe dich.«
»So etwas darfst du mir nicht sagen.«
»Es ist die Wahrheit.«
»Vielleicht ist das egal. Vielleicht ist die andere Wahrheit wichtiger. Vielleicht gibt es auch eine Bestenliste der Wahrheiten und …«
Luka wiederholt sein Vorgehen von vorhin mit großem Erfolg.
»Es wird bald dunkel, lass uns durchkrabbeln.«
Und Dora schubst ihn vor sich in den Tunnel und folgt ihm. Blind. Auch wenn sie weiß, dass man sich auf ihn nicht vorbehaltlos verlassen kann. Aber das ist ihr egal.
Mühevoll und kichernd erreichen sie das andere Ende des Tunnels und richten sich auf. Und da ragt er vor ihnen, ihr Felsen, so voller Erinnerungen, Bilder, Gedanken und Stunden des schweigsamen Beisammenseins, dass sie sich gegenseitig festhalten müssen, um auf dem feuchten, salzigen Stein nicht auszurutschen. Es ist überwältigend. Einmalig.
»Lass uns Wolken beobachten. Wetten, ich schlage dich wieder!«
Dora und Luka liegen auf dem Felsen und beobachten die wenigen Wolken, die am Himmel ihren Spaß haben.
»Da! Ein Baby!«
Luka sagt nichts. Er versucht, es zu sehen, aber sein Blick ist verschwommen.
»Es tut mir leid, ich wollte nicht …«
»Schon klar, vergiss es.«
Sie schweigen. Dora sucht Lukas Hand.
»Warum musstest du sie heiraten?«
»Weil ich es nicht zwei Mal tun konnte. Ausgeschlossen.«
»Ich
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