Jeden Tag, Jede Stunde
umarmen sich. Sie küssen sich.
»Es ist ein Mädchen.«
Und erst jetzt kann er lächeln. Er sieht in ihre Augen, und sie fangen an zu weinen, wohl wissend, dass alles besser ist, als getrennt zu sein.
Nachdem sie sich geliebt haben, liegen sie ruhig im Bett. Jetzt wird gesprochen und besprochen. Erklärt und geklärt. Gehalten. Nicht losgelassen.
»Wie geht es ihnen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie, du weißt es nicht?«
»Ich bin gleich weggegangen.«
Dora muss darüber nachdenken, was das bedeutet. Ob es etwas bedeutet.
»Aber es ist deine Tochter. Und deine Frau.«
»Ich weiß. Ich weiß. Nie ist mir das so bewusst gewesen wie gerade jetzt. Glaub mir. Man lässt mich das nicht vergessen.«
»Es ist früher als geplant, oder?«
»Ja.«
Sie denken beide nach.
»Meinst du, es hat etwas mit uns zu tun?«
»Wie meinst du das?«
»Ist es ein Zeichen?«
»Was für ein Zeichen? Wofür?«
»Keine Ahnung. Ich frage mich nur.«
Sie versuchen zu verstehen.
»Weiß sie …«
»Was?«
»Dass es mich gibt?« Wie bescheiden sie geworden ist! Als wäre sie eine bloße Existenz. Ohne Inhalt. Ohne Bedeutung.
»Nein.« Er ist sich dessen sehr sicher. »Jedenfalls nicht von mir.«
»Von wem sonst hätte sie es erfahren können? Wem hast du von Paris erzählt?«
»Niemandem. Ich hatte keine Zeit. Keine Gelegenheit. Es ging alles so schnell …«
»Hat sie denn keine Fragen gestellt?«
»Nein.«
»Sie hat nicht gefragt, warum du so lange in Paris geblieben bist?«
»Nein.«
»Was ist das für eine Frau!«
Dora wird wütend. Sie mag es nicht, ignoriert zu werden. Sie ist nicht ohne Grund Schauspielerin geworden.
»Es ging sie nichts an. Das wusste sie.«
Sie schweigen. Sie wissen nicht, wohin jetzt.
Es ist ein wunderbarer Morgen.
»Ich habe Hunger.«
Der Frühstückssaal ist leer. Schon abgeräumt. Luka bestellt in der Küche ein Frühstück. Die Köchin kennt ihn. Die Kellnerin kennt ihn. Jeder kennt ihn in diesem Hotel: Er ist nicht nur der Sohn des Direktors, er ist auch ein berühmter Künstler, und die Menschen an der Küste sind wie Elefanten, vergessen nie etwas. Und alle sehen Dora neugierig und abschätzend an.
Sie setzen sich auf die Terrasse zum Meer. Es ist ruhig. Im Mai gibt es keine am Pool tobenden Kinder. Nur ältere Menschen, die einfach die Wärme des Südens genießen wollen. Die den ganzen Tag spazieren gehen oder wandern oder am Meer sitzen und sich glücklich schätzen. Vor allem wenn sie den Freunden zu Hause Ansichtskarten schreiben.
Sie essen schweigend. Luka hat keinen Hunger, isst aber trotzdem mit. Ihre Blicke begegnen sich ständig. Und immer wieder müssen sie sich berühren.
Und merken nicht, dass sich die wissenden Blicke des Personals auch immer wieder begegnen. Und alles ist klar. Die Gesichter der Liebenden können keine Geheimnisse bewahren. Sie sind ein offenes Buch. Und schon wird geredet. Getuschelt. Antworten werden verbreitet, die keine sind.
Als die Teller leer sind, stehen sie auf. Luka nimmt Doras Hand.
»Lass uns hier verschwinden.«
Unten am Felsen hört man nur das Meer plätschern.
Dora und Luka liegen auf dem warm werdenden Stein und ihre Beine baumeln im Wasser.
»Ich habe hundert Fragen. Mindestens.«
»Nur zu.«
»Erst würde ich aber gerne etwas von Neruda hören.«
Luka bleibt stumm.
»Oder hast du ihn vergessen?«
»Nichtsein heißt vielleicht Sein ohne dich«, ist seine schnelle Antwort. Luka sieht sie nicht an. Er beobachtet jagende Möwen in endlosen Himmelshöhen. »Wenn nachts alle schlafen oder in ihren Zimmern sind oder wenn ich alleine im Hotel bin, dann nehme ich ihn aus der Schublade heraus und lese, laut, und stelle mir vor, du wärst da und hörst mir zu, und das wühlt mich so auf, dass ich Angst habe, das Bewusstsein zu verlieren. Ohne dich gibt es nichts. Nicht sein heißt ohne dich sein. Ohne Wenn und Aber.«
Dora beobachtet auch jagende Möwen in endlosen Himmelshöhen. Sie ist so aufgewühlt, dass sie auch Angst hat, das Bewusstsein zu verlieren. Eigentlich stimmt das nicht ganz. Aber sie teilt eben gern mit Luka. Alles.
»Was machst du eigentlich im Hotel? Seit wann arbeitest du da? Du hast es nie erwähnt.« Doras Kopf liegt auf seinem Bauch.
»Seit ich weiß, dass ich Vater werde.«
»Was ist mit dem Malen? Hast du noch Zeit dafür?«
»Seit Paris habe ich nicht mehr gemalt. Ich habe die Sachen nicht einmal ausgepackt.« Lukas Hand ruht auf Doras Bauch. Er spürt die Wärme ihres Körpers, und
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