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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natasa Dragnic
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Kopf, ihr Blick trifft Luka unvorbereitet. Feucht sind ihre Augen, und ihre Lippen bewegen sich und formen das Wort, das er ahnt, und Dora weiß, dass Luka weiß, dass er verloren hat. Verloren ist. Denn er hat gesiegt: Sie ist da, und was immer passiert ist, ist jetzt vorbei, und jetzt werden die Karten neu gemischt, und sie fühlt schon den Joker in der Hand, sie kann nur gewinnen, was heißt, dass auch Luka gewinnen wird. Schon gewonnen hat. Denn in jeder Sekunde kann alles geschehen. Mit allem ist zu rechnen. Mit jedem Atemzug kann sich alles ändern.
    »Lass uns hier verschwinden.«

19
    Ein winziges Hotelzimmer. Wie eine ganze Welt. Wie ein ganzes Leben. Grenzenlos, endlos, unendlich. Wie die Tiefe der Ozeane. Unerforscht, geheimnisvoll, beängstigend. Unwiderstehlich. Faszinierend. Wie die Zahl der Sterne. Zahllos. Unbekannt. Unheimlich. Unzerstörbar. Unsterblich.
     
    Umarmt liegen sie auf dem zerwühlten Bett, sie erlaubt kein Laken über ihrem Körper, er legt sein Kinn auf ihr Haar. Reden wollen sie noch nicht. Reden wird alles verderben und Wahrheiten enthüllen, die keiner hören will. Nein, das Reden muss noch warten. Und deswegen lieben sie sich noch einmal. Ihre Körper nebeneinander. Verschwitzt. Müde. Hungrig. Nimmersatt. Glücklich. Auf den nassen Bettlaken. Die Hand auf dem Bauch. Der Fingernagel im Oberarm. Der Mund auf der Brust. Das Bein um die Hüfte. Seine grünen Augen. Und deswegen lieben sie sich gleich noch ein weiteres Mal. Um nicht zu vergessen, was sie haben, wer sie sind, woher sie kommen und zu wem sie gehören. Und als sie tief ineinander ruhen und sich dabei in die Augen schauen, da wissen sie, und sie wissen, dass der andere es auch weiß, dass die Liebe eben in diesem Augenblick erfahren hat, dass sie Liebe heißt.
    »Ich habe Hunger, ich hab seit gestern nichts gegessen.«
    »Bist du geflogen?«
    »Nein, ich wollte den gleichen Weg gehen wie du.«
    Er küsst sie.
    »In Venedig habe ich sogar mich selbst in Paris angerufen.«
    Er lächelt und küsst sie noch einmal.
    »Es hat sich aber zum Glück keiner gemeldet.«
    Er lehnt die Nase an ihre Stirn.
    »Als ich die Stadt hier gesehen habe, musste ich weinen.«
    Er wischt ihr sanft die Tränen weg, die schon vor Stunden getrocknet sind.
    »Und das Meer. Fast hätte ich es vergessen!«
    »Ja, das Meer.«
    Dora hebt ein wenig den Kopf, genug, um Luka sehen zu können, und strahlt ihn an.
    »Ich habe Hunger, ich muss was essen.«
    »Wir können uns was aufs Zimmer bestellen oder ins Restaurant gehen. Wie du willst.« Seine Finger folgen ihren Bewegungen. Wie Tänzer auf der Bühne. Konzentriert und darauf bedacht, keine Fehler zu machen.
    »Soll ich in diesem Zimmer bleiben?«
    »Das weiß ich so nicht, ich muss die Buchungen überprüfen.«
    »Aber welches Zimmer war für mich gedacht? Das hier hat keinen Meeresblick.«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    »Ich habe doch hier im Hotel ein Zimmer gebucht, mit Meeresblick, vor einer Woche.«
    »Was? Davon wusste ich nichts. Ich war zwei Wochen am Meer, habe mir freigenommen, es war herrlich. Ich war fischen mit einem Freund, Vinko, du musst ihn kennenlernen, heute ist mein erster Arbeitstag, ich habe nicht einmal die Bookingliste überprüft, ich wusste nichts davon, dass du … Unter welchem Namen hast du das Zimmer denn reserviert? Keiner hat mir was gesagt … Hast du mit meinem Vater gesprochen? Wusste er Bescheid? Nichts hat er mir gesagt. Bist du alleine gekommen? Wie lange bleibst du?«
    »Ich bleibe zwei Wochen.«
    »Und ich bin verheiratet.«

20
    Dora und Luka sitzen im leeren Hotelrestaurant, in dem alles dunkelbraun ist, Holztische und Holzstühle und Holzbänke und Kacheln. Wie Schokolade, zartbitter. Nur die Tischdecken sind rot-weiß kariert. Die Wände sind weiß gestrichen und an ihnen hängen Gemälde mit Meeresmotiven. Fast alle stammen aus Lukas Kollektion. Dora erkennt sie gleich, ohne sie je gesehen zu haben. Denn sie beherrschen den Raum mit ihren Farben, sodass nichts anderes darin mehr wichtig ist. Und sie erkennt die Pinselführung. Schräg gehalten, sehr flach, wobei nur der oben liegende Daumen den Druck auf den Pinsel ausübt.
    Dora und Luka sitzen im leeren Hotelrestaurant. Jeder in seine eigenen Gedanken versunken – wie zwei mit Gold beladene spanische Karavellen mitten im Atlantik, von stürmischen Winden und Wellen überwältigt. Gedanken, die sich ähneln wie eineiige Zwillinge.
    Sie haben schon bestellt: Dora eine große Portion Nudeln mit

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