Jeden Tag, Jede Stunde
nicht erst jetzt gekommen ist.
»Luka, was willst du mir sagen? Hoffentlich nicht das, wonach es sich anhört!«
»Nein, natürlich nicht.« Zu schnell kam die Antwort.
»Luka!«
»Wir könnten das auch, aber ohne uns zu stellen! Das wäre die Lösung unserer Probleme!« Schnell redet Luka auf sie ein, bis sie ihn unterbricht.
»Sei still!«
Dora dreht Luka den Rücken zu. Sie stellt sich dem Meer. Der Stille des Wassers. Den Lichtern. Sie schließt die Augen. Und für den kürzesten Augenblick in der Geschichte der Zeit lässt sie ihn zu, diesen Gedanken. Er ist unvorstellbar und befreiend zugleich. Er fühlt sich wohl an, wie Balsam, denn er ist unwirklich. Verboten. Und nie wird Dora zugeben, ihn auch nur für den kürzesten Augenblick in der Geschichte der Zeit ihren eigenen genannt zu haben.
»Dora?«
»Sag kein Wort! Nie mehr. Und ich werde so tun, als ob wir nie darüber gesprochen haben. Nie.« Luka öffnet den Mund, um zu widersprechen. »Kein Wort. Ich meine es ernst.« Kraftlos steht Dora am Rande des Felsens. »Mein Leben ist doch kein Hollywood-Melodrama …« Sie schluchzt laut auf, als wäre es doch eins.
Jetzt findet Luka die Kraft aufzustehen, und schon ist er bei ihr. Er will sie umarmen, sie stößt ihn aber weg, verliert das Gleichgewicht, und hätte Luka sie nicht aufgehalten, wäre sie ins Meer gefallen. Sie denkt an die tote Frau und fängt an zu weinen. Luka nimmt sie in die Arme, diesmal lässt sie es zu: Sie ist zu schwach und zu verwirrt, um sich zu wehren. Und sie schämt sich, wenn auch heimlich.
»Verzeih mir, bitte, verzeih mir, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, ich bin völlig verzweifelt und habe eine solche Wut auf mich und Klara, sie hat mir gesagt, dass sie heute Morgen bei dir war, es tut mir so leid, verzeih mir, ich halte das nicht mehr aus, es frisst mich auf, ich fühle mich so hilflos, absolut machtlos, verzeih mir, vergiss, was ich gesagt habe, alles Unsinn, sieh mich an, ich bin es, dein Luka, nur dein, es ist nichts passiert, vertrau mir, verzeih mir, ich bin für einen Augenblick verrückt geworden, ich dachte …«
Es ist nicht einfach zu sagen, wer jetzt wen hält und vor dem Hinfallen schützt. Wie ein Häufchen Elend stehen sie da auf ihrem Felsen und sehen zu, wie sie auseinanderfallen.
Ein paar Tage vergehen. Dem Anschein nach läuft alles wie gewohnt. Dora und Luka verbringen jede verfügbare Minute zusammen, sie lieben sich im Hotelzimmer, das ihnen gehört, auch wenn sie es nie bezahlt haben; im Boot, das ihnen immer zur Verfügung steht; am Strand, der nachts nur für sie da zu sein scheint. Sie schmieden Pläne. Sie planen ihr Leben in Paris. Und Makarska. Denn es ist klar, dass sie aufs Meer nicht verzichten wollen. Sie überlegen, wo sie in Makarska wohnen werden, sie werden eine Wohnung brauchen, mit einem Zimmer für Katja. Und in Paris werden sie eine größere Wohnung mieten müssen, denn die jetzige hat nur ein Schlafzimmer, also keinen Platz für Lukas Tochter, die sie so oft wie möglich besuchen kommen wird. Rollen werden ausgesucht und besprochen, Preise und Auszeichnungen werden entgegengenommen, Bilder in Gedanken schon gemalt und ausgestellt und verkauft. Und andere Kinder werden gewünscht, gezeugt und mit Freude erwartet, und Namen werden ausgedacht und hinterfragt, also werden neue gefunden und wieder verworfen. Und die ganze Zeit wird geliebt und begehrt. Und gelacht. Für immer und ewig, versteht sich von selbst.
Dem Anschein nach läuft alles wie gewohnt.
Noch mehr Tage sind vergangen, und es ist der neunzehnte September. Dora holt Luka um achtzehn Uhr im Hotel ab. Sie wollen einen Spaziergang machen. Luka möchte Dora den Ort zeigen, von dem aus er gerne ein Bild malen würde. Er hat ihn erst neulich entdeckt. Dora freut Lukas unbändige Begeisterung. Es ist nicht weit weg, nur ein kurzer Spaziergang, an einigen anderen Hotels vorbei. Hände haltend schreiten sie ohne Eile Richtung Campingplatz, während Luka von seinem Arbeitstag erzählt, Geschichten über Gäste, die nicht wissen, wie der Wasserhahn funktioniert, oder die den Lichtschalter nicht finden und sich beschweren, dass die Lampe kaputt ist. Dora lacht. Luka lacht mit. Menschen gibt es! Entschlossen, aber gemächlich gehen sie auf ihr Ziel zu. Noch ein paar Schritte, und sie sind da.
Es ist ein kleiner Landvorsprung, unterhalb der Strandpromenade, im Schatten eines großen, alten, schief gewachsenen Pinienbaums. Unter dem Baum steht gut versteckt
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