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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natasa Dragnic
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Williams’ Stück Die Katze auf dem heißen Blechdach . Philippe Dédieu soll Brick spielen, das freut sie. Sie kennt ihn von der Akademie, er war im Abschlussjahr, als sie anfing, sie hat fast alle seine Auftritte in der Akademie gesehen. Eine Zeit lang ist er dann von der Pariser Bühne verschwunden, hat versucht, in New York Karriere zu machen, ist aber vor einem Jahr nach Paris zurückgekommen, um als Hamlet zu brillieren. Und jetzt werden sie zusammen spielen. Dora ist sehr aufgeregt. Am vergangenen Freitag haben sie nach der Probe noch ein Glas Wein zusammen getrunken. Da sei ein Hunger in seinen Augen gewesen, hat Dora am nächsten Morgen Jeanne gesagt und musste kichern wie ein Schulmädchen nach dem ersten Kuss. Jeanne hat mitgekichert. Was sonst. Immer noch beste Freundinnen, wie damals auf der Bank im Parc Monceau. »Du bist dabei, dich in ihn zu verlieben«, hat Jeanne geschrien, und Dora hat gesagt: »Unsinn«, und dann haben sie wieder gelacht und sich mit den Kissen beworfen. Wie zwei junge Kätzchen, verspielt und unvernünftig.
    »Danke, Jeanne.« Dora trinkt den Wein langsam und genießt jeden Schluck und jeden Bissen, den sie von den leckeren Sachen auf ihrem geschmackvoll dekorierten Teller nimmt. Es ist ein Fest für Augen und Gaumen, ein teures, aber heute ist es egal. Sie lebt noch und es geht ihr gut und sie ist erfolgreich und kann sich so ein Essen leisten. Auf jeden Fall. Sie blickt auf die Stadt unter ihnen und spürt, wie eine tiefe Ruhe sie erfüllt. Aber auch Aufregung. Vor allem jedoch Dankbarkeit. Sie lebt noch. Auch wenn es Themen und Dinge gibt, die in jeder Hinsicht untersagt sind, insbesondere bestimmte Namen, eine Augenfarbe, ein Lächeln. Streng geheim. Erinnerungen an Finger und Lippen. Dora fällt es schwer zu atmen.
    »Was ist, Dora?«
    »Nichts, ich habe nur … Nichts.«
    Jeanne sieht sie argwöhnisch an. Sie weiß natürlich, worum es hier geht. Es ist immer dasselbe. Eine winzige Kleinigkeit genügt, um Doras Gedanken umzuleiten. Jeanne macht sich Sorgen. Nach fünf Jahren würde man meinen … Aber nein, nicht bei Dora. Nichts hat sich geändert. Nichts.
    Das Leben ist jedoch voller Überraschungen. Im nächsten Augenblick steht ein gut aussehender Mann neben ihrem Tisch, und Dora kann wieder lächeln.
    »Philippe!«
    Philippe beugt sich vor und gibt Dora einen langen Kuss auf die Wange. Jeanne sieht, wie Dora die Augen schließt, als würde sie in diesem Kuss verschwinden wollen.
     
    »Das war ein guter Fang!«
    Luka nickt wortlos, während Vinko eine Zigarette anzündet. Die Kühlbox ist voller Fisch, das wird viel Geld bringen. Vinko zieht seine Mütze aus und kratzt sich am Kopf.
    »Ich hasse diese Mützen! Die jucken immer so!«
    »Immer noch besser als erfrorene Ohren.«
    »Oder erfrorene Haare!« Vinko setzt die Mütze wieder auf.
    »Da musst du dir keine Sorgen machen, mein Freund!«
    Vinko tut so, als würde er Luka eine verpassen wollen, und beide lachen. Es ist eine gute Zeit, ruhig, entspannt. Luka ist zufrieden. So soll es immer bleiben. Keine Rückkehr. Immer öfter muss er an seinen Vater denken und wie er damals weggegangen ist, einfach verschwunden, und das Boot mit ihm. Damals hat Luka darunter gelitten, aber heute versteht er es und würde es selbst gern machen, sich in Luft auflösen oder in Wasser. Spurlos verschwinden. Denn manchmal ist diese Ruhe, die er gewählt hat, einfach nicht zu ertragen, manchmal überrascht ihn das Leben, greift ihn förmlich an, erfüllt ihn mit Schmerz und Euphorie und Verlangen, und dann muss er fliehen. Aufs Meer. Weg. Um nicht zählen zu müssen, um atmen zu können. Denn jetzt, wo auch Ana weg ist – plötzlich ist ihr vor zwei Jahren eingefallen, dass sie doch studieren will, und zwar nicht mehr und nicht weniger als Medizin! -, ist niemand da, um sich um ihn und sein Atmen zu kümmern. Da kann er sich so etwas nicht leisten. Jetzt läuft er davon. Das ist die neue Taktik: wegrennen, ohne zu entkommen. Aber die Illusion bleibt wenigstens, ein Versuch. Ausbrechen, um heimzukehren, um zumindest im Vorbeigehen am Leben zu schnuppern.
    »Was machst du mit dem Geld? Kaufst du dir eine neue Mütze?«
    »Sehr witzig! Wirklich!« Vinko macht seine Zigarette aus und wirft den Stummel in eine leere Bierdose. Bierdosen gibt es en masse, denn an Bier soll es nie mangeln.
    »Nein, im Ernst. Was machst du damit?«
    »Biserka meint, wir sollen endlich heiraten.«
    »Und du?«
    »Ich muss nicht heiraten.« Vinko lehnt den Kopf

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