Jeden Tag, Jede Stunde
wo sie meistens die einzigen Gäste sind, oder machen Picknick irgendwo im Hotel, an der Bar, vor der Rezeption, im Frühstückssaal, in dem es leider kein Frühstück gibt, in der großen Hotelküche, wo es nichts zu essen gibt; sie gehen spazieren durch die wie ausgestorben daliegende Stadt, am Strand entlang, zum Felsen. Der Felsen ist ein guter Platz bei diesem Wetter, er gibt Schutz, der Wind kann ihn nicht erreichen, denn er liegt auf der Südseite der Halbinsel Sv. Petar. Hier sitzen Dora und Luka dann, in eine Decke aus dem Hotel eingewickelt, und lieben sich, während ihre Zähne klappern. Sie reden viel. Der Nachholbedarf ist groß. Dora berichtet über ihre Erfolge, über Helena, die sich von Marc getrennt hat, und Ivan, der sie seitdem mit großem Nachdruck und ungeahnter Energie wieder umwirbt. Er mache sich lächerlich, schlicht und ergreifend lächerlich, ärgert sich Helena, aber eigentlich hat sie gar nichts dagegen. Dora kann ihre Mutter wunderbar nachahmen, so vorzüglich, dass Luka lachen muss. Dora spricht über Jeanne, die nach wie vor mit behinderten Kindern arbeitet und sich überlegt, vielleicht nach Afrika zu gehen, es gibt so viel Elend überall. Dora sagt kein Wort über die Männer in ihrem Leben, denn sie sind nicht wichtig. Mit keinem Wort erwähnt sie die Fehlgeburt. Oder ihren Plan. Der bis jetzt wunderbar funktioniert.
Luka berichtet über seine Misserfolge. Überall nur Versagen. Er wird in diesem Jahr zweiunddreißig, hat seit fast sechs Jahren kein Bild gemalt und wird es auch nicht mehr tun, so hat er das entschieden; arbeitet immer noch an der Rezeption und wird sie nie verlassen, so hat er das entschieden. Luka kann die Verachtung, die er sich selbst gegenüber spürt, nicht verstecken. Dora hält ihn fest. Sie ist erschüttert, kann nichts sagen. Ein Leben, das mit aller Kraft versucht, sich zu vernichten. Dora ist nach Schreien zumute. So viel Verleugnung und Verschwendung und Selbstbestrafung – und ohne jeden Grund. Dora ist bestürzt. Sie hält Luka fest, und Luka sagt kein Wort über all die Frauen, die Doras Namen tragen und Doras Gesicht haben, was die Erbärmlichkeit bis ins Absurde treibt.
Sie sind fest und innig umschlungen, von der Dunkelheit, der Kälte, dem Wind, der Angst vor Doras Abreise. Heute schon. Denn es ist die letzte Nacht.
»Keine sonst, Geliebte, soll mit meinen Träumen schlafen.«
Hunderte, Tausende von Antworten fallen Dora ein, keine aber ist Nerudas würdig, nicht einmal bei Shakespeare wird sie fündig. Sie kämpft gegen die Tränen, die jeden Augenblick aufdringlicher werden. Februarnächte sind lang und lichtlos, und der Tag scheint unerreichbar, das ist der einzige Trost, den sie haben. Die Hoffnung, dass die Sonne vergessen wird, aufzugehen. Warum auch nicht? Alles ist möglich.
»Luka«, flüstert Dora. »Ich möchte, dass du glücklich bist. Dass du dich besser um dich kümmerst.«
»Liebe Dora.«
»Bitte. Sonst war der ganze Verzicht umsonst.«
»Ich habe keine Lust. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich glücklich sein soll. Ohne dich … Ich verdiene es nicht.« Beinahe verzweifelt ist Lukas Stimme, und sie tut weh.
»Aber irgendjemand muss doch etwas von unserem Unglück haben!«
»Katja. Katja hat etwas davon.«
»Vielleicht.« Dora überlegt. »Obwohl sie noch mehr davon hätte, wenn ihr Vater glücklich wäre.«
Schweigen.
»Ich spreche nie deinen Namen aus. Ich darf ihn nicht einmal denken.«
»Geht mir genauso.«
»Ich würde es nicht ertragen.«
»Ich würde sterben.«
»Und das wäre unverzeihlich, so ein Talent!«
»Genau! Deswegen musst du wieder malen! Die Welt vermisst dich, Luka.«
»Dora.«
»Wir müssen diese Gelegenheit ausnutzen, wo alles erlaubt ist, auch das Unvorstellbare.«
»Meine Liebe hat, dich zu lieben, zwiefach Leben. / Deshalb liebe ich dich, wenn ich dich nicht liebe, / und deshalb liebe ich dich, wenn ich dich liebe.«
»Du bist verrückt.«
Irgendwann, als die Sonne dann doch schüchtern ihre Strahlen über Makarska und das Meer streut, steht Dora auf, zieht sich leise an, betrachtet dabei den schlafenden Luka, tut nichts, um das Rasen ihres Herzens zu zügeln, fällt auseinander, stützt sich an die Wand, während die Welt um sie herum Karussell fährt. Sie kann die Beine nicht bewegen, ihre Füße wollen dieses Zimmer nicht verlassen: Denn hier ist das Leben.
Dora legt ihre Lippen auf Lukas Stirn.
»Luka«, flüstert sie zum letzten Mal.
Sie verlässt das Zimmer.
Und Luka
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