Jeden Tag, Jede Stunde
öffnet die Augen, die ihm wehtun von diesem Als-ob-ich-schliefe-Spiel. Aber er hat ihr versprochen, nicht wach zu werden, nicht mit ihr aufzustehen oder sie noch einmal zu lieben, zu umarmen. Das überlebe ich nicht, hat Dora gesagt mit einer trockenen Stimme, die jeden Augenblick gedroht hat zu brechen. Er musste versprechen, sie nicht zu begleiten, ihr nicht nachzusehen oder zu winken. Nichts hat sie ihm erlaubt. Außer sich tot zu stellen.
»Dora«, flüstert er zum letzten Mal, bevor sich die Schleusen unwiderruflich schließen. »Dor…« Und dann geht nichts mehr.
34
Dora sitzt im Flugzeug. Unter ihr die Alpen. Sie legt die Hände auf den Bauch und lächelt. Man muss immer einen Plan haben, dann kann nichts schiefgehen. Sie hat alles genau ausgerechnet. Es muss einfach gut gehen. Es waren die richtigen Tage, die richtigsten überhaupt. Es muss geklappt haben.
Sie verzichtet auf ein Glas Wein. Man kann nicht früh genug anfangen, aufzupassen. »Salut«, flüstert sie und trinkt einen Orangensaft. Auch nicht schlecht. Sie trinkt auf sich, den Mann, dessen Namen sie wieder nicht mehr aussprechen darf, auf die Liebe und deren Früchte, verbotene oder nicht: Sie ist die Einzige, die darüber entscheidet.
Sie schließt die Augen und lehnt sich zurück im unbequemen Flugzeugsessel. Sie ist tot und lebendig zugleich, sie ist alles und nichts. Der Schmerz wird durch die Höhe nicht relativiert, die Erinnerung nicht verschwommener und sie hoffentlich nicht weniger …
Sie lächelt. In ihrer Tasche hat sie ein von Luka gemaltes Bild. Es ist ein Porträt von ihr. Sie schläft. Ihr Kopf liegt auf dem ausgestreckten rechten Arm. Ihre linke Hand ruht auf dem Laken vor ihrem Gesicht. Sie sieht zufrieden aus. Ausgeglichen. Als hätte sie wunderschöne Träume. Eine Haarsträhne liegt über ihrer linken Wange. Man sieht ihre nackten Schultern. Man sieht ihr ihre Schwangerschaft an. Klar und deutlich. Luka hat es gemalt, ohne es zu sehen. Er hat in dem Bild die Wahrheit eingefangen, die er nie erfahren wird.
So betrunken war Luka schon lange nicht mehr. Vinko kann ihn kaum halten. Halb trägt, halb zieht er ihn nach Hause, während Luka lallend schreit, er solle ihn ins Hotel bringen, da habe er ein Zimmer, da wohne er jetzt, oder auf das Boot, das sei sein Zuhause. Dann erbricht er sich. Und so den ganzen langen, unendlichen Weg nach Hause. Vinko benutzt Lukas Schlüssel und lässt sie hinein. In der Wohnung ist alles still, nur leise Schnarchgeräusche kommen aus einem der Zimmer. Es ist schon zwei Uhr nachts. Vinko legt Luka auf die Couch im Wohnzimmer, deckt ihn mit der Decke, die über dem Sessel liegt, zu und geht nach Hause. Er kann nichts mehr für seinen besten Freund tun. Dora ist fort. Alles ist fort. Das ist Lukas Geschichte. Vinko schüttelt traurig den Kopf. Gut, dass er seine Biserka hat.
Schreckliche Kopfschmerzen wecken Luka auf. Er stöhnt. Was für ein Abend! Er versucht, sich mit so wenig Bewegung wie nur möglich umzudrehen. Dora. Er öffnet die Augen. Das Licht blendet ihn. Augen wieder zu. Nein. Dora ist fort. Abgereist. Jetzt ist er wieder allein. Tot. Wessen Bett ist das denn? Es ist nicht das Hotelzimmer. Es ist auch nicht die Liege in der Kajüte, und es ist nicht das Sofa im Wohnzimmer. Augen wieder auf. Aber so ganz fremd ist ihm das Bett nun auch wieder nicht. Das Zimmer auch nicht. Die Frau neben ihm genauso wenig. Augen wieder zu! Alarmstufe rot! Verdammt! Wie betrunken war er, dass er so etwas gemacht hat und sich nicht mehr daran erinnert?! Luka fühlt, wie sich sein Magen dreht, er rennt ins Badezimmer, hält sich an der Kloschüssel fest wie an einem Rettungsring. Er übergibt sich und weint.
Irgendwann verlässt er dann doch das Bad und zieht seine Bleibeine ins Wohnzimmer. Er setzt sich auf die Couch. Das ist sein Bett, wenn er in der Wohnung schläft. Zufällig. Sein schmerzender Kopf liegt in seinen Händen, die Übelkeit kommt wieder. Er glaubt fast, sie wird nie mehr vorbeigehen. Was in Ordnung wäre. Er hat es verdient. Dora so zu betrügen. Er steht schnell auf, eilt wieder ins Bad, gibt seine ganze Zuneigung der Klobrille. Ihr wird er treu sein, versprochen. Er traut sich langsam aus dem Bad.
Vor ihm steht Klara. Glücklich. Strahlend. Selbstzufrieden. Sie schmiegt sich an ihn. Danke, flüstert sie, es war wunderbar, ich freue mich, dass wir wieder zusammen sind und dass alles so sein wird wie früher, ich habe dich so vermisst, das kannst du dir gar nicht
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