Jeden Tag, Jede Stunde
hohen Berg, auf dem man ausgiebig wandern kann. Und überall das Meer. Es schimmert silbern in der Morgensonne, wie die Ewigkeit. Wie Gottes Haus. Dora sitzt im Bus, müde und aufgeregt, und ist überwältigt. Vom Anblick, von großen Erwartungen, von dem, was sie gleich sehen wird. Ihre Augen werden feucht, und sie versteckt sie hinter einer großen, schwarzen Brille. Es ist ein kalter, aber sonniger Februartag. Man schreibt das Jahr 1991. Tante Marija ist seit drei Jahren tot, also keine Schokoladenkuchen mehr. Nur noch Luka ist übrig geblieben. Das sollte aber genügen.
Eine schöne, junge Frau. Am Empfang. In einer engen Jeans und einer dicken, blauen Winterjacke. Flache, elegante Winterschuhe. Eine kleine Reisetasche. Eine dunkelblaue Handtasche. Hände in roten Handschuhen versteckt. Langes, lockiges Haar. Verspielt. In den Augen. Sie pustet es immer wieder weg. Ein schmales, blasses Gesicht. Als hätte es die Sonne nie zu sehen bekommen. Volle Lippen. Eine breite Nase. Große, dunkle Augen.
Dora.
»Dora.«
Und schon zählt Luka: Eins, zwei, drei, vier, und Dora findet schnell den Weg hinter die Rezeption, und sie lehnt ihren ganzen Körper an seinen. Sie kann ihn durch ihre dicke Jacke nicht so richtig spüren, ihren Mund legt sie auf seinen, und sie flüstert ihm sanft zu: »Du bist mein Prinz, schlaf nicht ein, bleib bei mir, sieh mich an, sieh mir in die Augen, mein Prinz, ich bin da, alles ist gut, mein Prinz.« Luka fällt auf den Drehstuhl neben sich, als hätte er keine Muskeln. Keinen Willen. Als wäre er eine alte, löchrige Luftmatratze. Seine Augen sind geschlossen und sein Atem geht schwer. Es gibt Sachen, auf die ist man nie vorbereitet. Er spürt Doras Kopf auf seinem Bauch, ihre Arme um seine Taille, aber Sauerstoff ist im Augenblick Mangelware, und er sitzt weiterhin unbeweglich da. Er fühlt den Druck ihres Körpers und es ist gleichzeitig seltsam und wunderbar, und er will sie gleichzeitig dabehalten und von sich stoßen. Er macht ein Auge auf, für mehr reicht seine Kraft nicht, und sieht sie vor ihm auf den Knien, ihr langes Haar auf seinem Schoß, und das Glück ist überwältigend und tödlich gleichzeitig. Er hört sie murmeln, ihre Stimme erreicht ihn nicht, aber es könnte das Wort »Prinz« sein, das ihren Mund verlässt. Er legt die Hand auf ihre Haare.
Dora hält inne und hebt den Kopf. Feucht sind ihre Augen, ihre Lippen bewegen sich und formen das Wort, das er ahnt, und Dora weiß, dass Luka weiß, dass er verloren hat. Verloren ist. Denn er hat gesiegt: Sie ist da, und was immer passiert ist, ist jetzt vorbei, und jetzt werden die Karten neu gemischt, auch wenn er davon nichts weiß, und sie fühlt schon den Joker in der Hand, sie kann nur gewinnen, was heißt, dass auch Luka nur gewinnen wird. Schon gewonnen hat. Mit allem ist zu rechnen. Denn Dora hat einen Plan.
»Lass uns hier verschwinden.«
»Es ist so leer hier!«
»Das Hotel ist geschlossen. Winterpause bis April.«
»Was machst du dann hier?«
»Auf dich warten.«
»Klar. Und außerdem?«
»Ich musste einige Papiere durchsehen, Angebote, Anfragen, Papierkram halt.«
»Dann hatte ich also großes Glück.«
»Nein, ich hatte das Glück.«
»Warte erst einmal ab, bevor du das behauptest.«
»Da gibt es nichts abzuwarten. Du bist hier.«
»Das stimmt.«
»Ich danke dir.«
»Das war reine Selbstsucht, keine Spur von Altruismus.«
»Macht nichts. Spielt keine Rolle.«
»Luka.«
»Dora.«
»Ich liebe dich.«
»Danke, dass du gekommen bist.«
»Gern geschehen.«
»Wie lange bleibst du diesmal?«
»Wie lange hättest du es denn gern?«
»Lass mich nicht darauf antworten.«
»Es kann so sein, wie du es willst.«
»Dora.«
Alles ist, wie es schon immer war, wenn sie zusammen sind. Genau richtig. Jede Bewegung des einen ergänzt die des anderen. Alles fügt sich zusammen. Lückenlos. Körper, Blicke, Worte. Die Vollkommenheit des Lebens. Als hätte es die Zeit dazwischen nicht gegeben. Als gäbe es gar keine andere Zeit.
Eine Woche lang bewohnt Dora ein kleines Zimmer im geschlossenen Hotel, mit Luka als einzigem Heizkörper. Es ist kalt. Bura, der eisige Nordwind, pfeift durch die verlassenen Flure und Räume. Die Luft ist kristallklar und scharf wie eine Glasscherbe. Man muss den Kopf mit dem Wind drehen, um atmen zu können. Das Meer ist wie ein Seeigel, es sticht bei jeder Berührung.
Keinen Augenblick sind Dora und Luka getrennt. Sie lieben sich; sie essen entweder im Strandrestaurant,
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