Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)
Kalten
und du verschickst das Pulverfass
mit bunten Schleifchen an die Söhne.
Meistens ein Kärtchen innenbei:
Bewahrt das Gute und das Schöne.
Wünsch mir zwei Enkel. Oder drei.
Und doch lässt etwas Kirschen blühen im April
und lässt dich wieder fallen, wenn du schwebst.
Muss wachsen, werden, hält nicht still
und will dir einfach sagen, dass du lebst.
Die Weisen ziehn den Hut und danken.
Manche Poeten greifen zum Arsen.
Nur ein paar Starke sieht man schwanken
und nackt und glücklich weitergehn.
Statistisch erwiesen
Statistisch erwiesen: Wer säuft, lebt kürzer,
und Rauchen zerklüftet latent.
Auch wer gerne frisst und gewichtig wird,
verreckt zu vierzig Prozent.
Wer fremdgeht, holt sich die Syphilis,
Zirrhose den Zügellosen,
und je nach Mode ist Hodenkrebs
die Strafe für zu enge Hosen.
Wenn die Alte zu geil wird, beweist man ihr besser,
dass Samen karzinogen ist,
und wer lacht, ist verdächtig, weil lachendenfalls
der Bakterienschub zu extrem ist.
Das Reden wird irgendwann viel zu gefährlich,
verbreitet im Gaumen Geschwüre,
und doch, obwohl du dich gründlich geschützt,
steht der Tod plötzlich vor deiner Türe.
Du wimmerst: Verzeihung, das kann gar nicht sein,
rein statistisch darf ich noch leben!
Und dann werden sie dir an den großen Zeh
das größere »Pech gehabt« kleben.
Ihr Lieben, das bringt euch doch jetzt schon um!
Die Methode ist hinterlistig.
Ja, glaubt ihr denn wirklich, der Tod ist so dumm
und hält sich an die Statistik?
Die geduldig Wartenden
waren mir noch nie ganz geheuer.
Alle, die nicht irgendwann
aufspringen und brüllen:
Und ich? Wann komm jetzt endlich ich dran? –
All die milde Lächelnden,
unendlich Genügsamen
sind mir verdächtig.
Komm mit den hauptamtlich Guten
nicht so zurecht
und Missionare
sind zuerst mal nur penetrant.
Will denen allen nichts Schlechtes nachsagen,
zumal ich sicher auch selbst oft
in Bedrängnis geriete
ohne die Sozialarbeitergesinnung
mancher Mitbürger,
richtig wohl allerdings
fühl ich mich erst bei den bösen Buben,
die im Sommer die Schule schwänzen,
nur nie sich selbst,
mit Steinschleudern auf die Wirklichkeit zielen
und nicht daran denken,
bei schönem Wetter
mit Sammelbüchsen durch die Stadt zu rennen.
Das möchte ich nur mal so
vor mich hingesagt haben.
Lied / Das macht mir Mut
Und keinem ist der Arm so lang,
auch nicht der Obrigkeit,
dass mir ein ehrlicher Gesang
im Halse stecken bleibt.
Wolln mich ein paar auch stumm, zur Stund,
und mir die Luft verpesten –
ich furz mir meine eigne, und
die ist bestimmt vom Besten.
Und draußen steigt die Sonne hoch,
bei uns die Fantasie.
Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,
die Scheiß-Technokratie!
Das macht mir Mut.
So muss es sein.
Und wenn dir was wehtut,
dann musst du schrein.
So mancher Brave käm in Not,
würd man nicht schweigend sterben,
sondern, entgegen dem Gebot,
verrückt und lüstern werden.
Das knabbert an den Wertpapieren,
das könnt verwundbar machen.
Ach, Freunde, statt zu lamentieren,
sollten wir wieder lachen.
Und draußen steigt die Sonne hoch,
bei uns die Fantasie.
Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,
die Scheiß-Technokratie!
Das macht mir Mut.
So muss es sein.
Und wenn dir was wehtut,
dann musst du schrein.
Keine Zeit zum Denken
Keine Zeit zum Denken, sagt er,
fährt jeden Sommer nach Alassio
und geht in Dinkelsbühl in die Sauna.
Alles sauber.
Masseure mit Reifezeugnis und
Unbedenklichkeitsbescheinigung.
Telefonieren,
Zinssätze ausrechnen,
absolut keine Zeit zum Denken.
Und während ich ihn mir so ansehe,
schiebt sich die Milchstraße
zwischen uns.
Dem fehlt der Stachel, sag ich mir,
dem fährt kein Wind ins Gesicht.
Wo will der noch seine Hand hinstrecken?
Der putzt sich die Zähne
wahrscheinlich mit
destilliertem Wasser,
der schlägt seine Frau
nur freitags
zwischen acht und neun.
Was der wohl träumt?
Wie der wohl sterben wird?
Bäumt er sich dann noch mal auf?
Der onaniert
bestimmt nur
mit den Fingerspitzen.
Keine Zeit zum Denken,
sagt er,
und andere
schleichen sich nach Büroschluss
in die Küche,
um die Kinder nicht zu wecken,
rücken sich still
die Lampe
zurecht
und suchen in Büchern,
Gesprächen oder Gebeten,
ein bisschen was von sich mitzukriegen.
Freiheit
Etwa auf Hügeln:
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