Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)
Stubenmädchen reiten zum Sturm.
Trennungen.
Selbst vom Eiffelturm aus
lassen sich nur Einschnitte erkennen.
In den Büchereien
verkaufen sie dann Überblicke.
Wahlweise poetisch, wissenschaftlich
oder verständlich.
Von acht bis fünf
Bürovorsteher,
anschließend Familienvater,
später tot.
Keine Zusammenhänge.
Selbst gleichzeitig Gehen und Armeschlenkern
verursacht Kopfzerbrechen,
aber alles andere ist nun mal zu fragwürdig,
kann man sich nicht drauf einlassen,
müssen Sie verstehen,
Herr Kollege.
Homer hat sowieso nie gelebt,
Rimbaud war ein Bluffer,
Christus eine Erfindung,
Toller doch noch zu wenig proletarisch,
Fromm ist ein Plagiator,
Benn war Faschist,
Mozart Lakai der herrschenden Klasse,
gerade noch zwei Häuserwände
assoziativkreativ bepinseln,
aber dann gleich wieder zurück zur Blaskapelle,
Hauptsache, das Mundstück ist nicht schmutzig,
der Dirigent nicht besoffen
und beim Pinkeln leert sich ordentlich die Blase.
Ansonsten kriegen wir die Welt schon in den Griff.
II
Bitte keine Zwischenrufe jetzt,
ich bin sensibel.
Vielleicht sollte ich wirklich lieber mal
einen Hammer in die Hand nehmen,
die Ärmel hochkrempeln,
aber lassen Sie mir noch Zeit.
Noch gehör ich zu denen,
die ans Absolute ranwollen,
da bleibt oft nur das Ahnen,
das ist eine andere Dimension,
da wohnen die Dichter.
Ach so.
Sie wissen also mehr von der Wirklichkeit
und können mir auch sicher kurz umreißen,
welche Wirklichkeit Sie meinen?
Die des Cinquecento und der Inquisition
doch sicher nicht,
oder vielleicht doch wieder mal eine geozentrische?
Die albanische eventuell,
die manisch-depressive
oder eine alkoholische
Fellachenwirklichkeit oder pax orbis et mundi,
Wüstenrot oder Jesus People –
eigentlich können Sie doch nur die Ihre meinen,
wenn Ihnen meine schon nicht so recht ist?
Muss eben immer was Bleibendes herhalten,
muss man sich festhalten können,
gerichtete Welt,
genormte Welt
(Stillgestanden! Rühren! Weiterdichten!)
und die Wirklichkeiten,
geharnischt und flammenden Schwerts
im Glorienschein der Hymnen und Manifeste
ihre Rekruten adelnd,
ziehen in den Krieg.
Zwischen den Fronten
eingeschlagene Fensterscheiben und
aufgeschlitzte Bäuche,
traurige alte Damen
mit Fotoalben auf den Knien,
gerechte Welt,
bewiesene Welt,
Hauptsache, allerorten
gesundes Volksempfinden,
dieses untrügliche Empfinden,
das Schäferhunde streicheln lässt
und Juden vergasen,
objektive Welt,
wissenschaftliche Welt
und immer gefühlsbetont,
Tränen in der Metzgerei
(so was kann ich nun wirklich nicht mit ansehen),
wogende Brüste beim Anblick eines Säuglings,
wenn er nur richtig koloriert ist,
südafrikanische Wirklichkeit,
Sonthofener Wirklichkeit …
Und dann sitzt man doch immer wieder mal
an einem großen Tisch zusammen,
mit Freunden,
und neue sind dazugestoßen,
oder plötzlich wird man
in irgendeiner Imbissstube
von der Wärme gepackt,
Prosten, Saufen, Streiten,
man liebt und plant und hofft,
ach,
ganz egal wo,
immer wieder trifft man eben Menschen,
Menschen,
die sich einfach dauernd entwickeln,
vorleben,
keine Bedingungen ans Glück stellen,
selten schuldig sprechen
und sich nicht vertuschen.
Das kann sicher noch nicht alles sein,
aber es ist genug,
um weiterzuleben,
weiterzulachen
und weiterzudichten.
III
Aber wer,
rufen die Freien,
wer ist nicht frei
im freien Land?
Seht doch,
wie sie uns schützen
vor den Unfreien,
schwärmen die Freien,
seht doch,
wie die Regler das Land regeln,
untadelige Männer
mit Bürde und Ritterkreuz,
haben keine Vergangenheit,
haben nur
eine
Gegenwart,
leiden stets um die Zukunft,
einwandfreie Männer,
brüllen die Freien,
die auch schon mal sonntags eine Kanzel erklimmen,
um Gott näher zu sein.
Währenddessen
setzen Retuschen und Hüftschwünge
Maßstäbe,
legen z. B. Entfernungen fest:
In Saragossa wartet die Liebe,
in Colorado wohnt das Glück,
keimfreie Männer mit volksnahen Kehlen,
die können Sie Ihrer Tochter getrost übers Bett hängen,
gnädige Frau,
die wälzen nicht um,
die wühlen nicht auf,
die nehmen das Jungfernhäutchen noch ernst.
Seht nur,
wie sie Posters verteilen,
mit Blondschopf und Gattin, an alle Haushalte,
seht doch,
wie sie vollkommen sind,
wie sie nicht furzen bei Tisch,
wie sie in der Oper nicht schnarchen,
Politiker, Priester, Propheten,
manchmal trifft man
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