Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)
Schäfchen richten,
und wie die großen Gauner kleine Diebe
uns zur Erbauung gnadenlos vernichten.
Ich seh auf einmal diese feinen Stoffe,
aus denen Menschen eigentlich bestehen.
Und habe Angst und bete, und ich hoffe,
mich jetzt noch nicht so eigentlich zu sehen.
Als könnte jemals jemand ganz allein
in seiner Höhle mit sich vegetieren.
Wir sind vermummt, wir hörn sie nicht mehr schreien,
die ständig in und um uns existieren.
Es ist ein langer Marsch durch die Geschichte,
der sich vor mir in diesem Augenblick vereint,
und ich verwünsche schaudernd die Gesichte,
wo mir so vieles plötzlich körperlich erscheint,
was nur abstrakt in unserer Psyche
befreit von Mythen, heißt es, existiert.
Doch das Abstrakte hat Gerüche
und nimmt Gestalt an, zeugt, gebiert.
Jetzt zieht ein Heer von Tieren durch die Nacht,
ein Trauermarsch zertretner Kreatur.
Die fragen stumm: Was habt ihr nur gemacht,
erkennt ihr nie mehr diese unsichtbare Schnur,
die alle mit dem anderen verbindet,
die euch allein, doch nie vereinzelt lässt –
die hält euch, bis der Letzte Frieden findet,
im Strudel eurer Grausamkeiten fest.
Noch wird es Tag, die Sonne streichelt wieder,
als wüsste sie von nichts, die ganze Welt.
Ich komm mir wichtig vor und bette mich in Lieder,
obwohl doch alles bald zusammenfällt.
Da unten wird grad einer abgestochen.
Ich prüf die Härte meines Frühstückseis.
Wo hat sich meine Seele wieder hin verkrochen?
Ich will davon und wart am falschen Gleis.
Und während ich hier wieder einmal klage,
springt einer irgendeinem ins Gesicht.
Natürlich weil er recht hat, nur die Frage
erübrigt sich schon lang: Wer hat das nicht?
Jetzt eine Insel finden und in seentiefem Blau,
von Opiaten überwölkt nach innen sinken.
Nur nichts von außen. An der eignen Wesensschau
den Lebensrest verzaubernd sich betrinken.
Und doch: Selbst mit verschlossnen Ohren
kann ich den anderen Wirklichkeiten nicht entfliehn.
Denn leider kann sich keiner ungeschoren
auf Dauer in die eigne Welt verziehn.
Liebesdank
Jetzt möchte ich dir endlich einmal danken,
dass du mich schon so lang ertragen hast,
meine Zerrissenheiten und mein Schwanken
und all den ungebändigten Ballast,
den ich so einfach auf dich wälzte, um befreit
mein Menschsein männlich zu vollenden.
Wie oft lag diese Heldenhaftigkeit
in deinen lieben Händen!
Oft fände ich mich in dir gerne wieder,
doch immer wieder finde ich nur dich,
so atmest du in jedem meiner Lieder,
so lieb ich dich.
Vielleicht stand es in den berühmten Sternen,
dass ich dich traf. Doch das stand nicht darin:
Ich habe noch so viel von dir zu lernen,
bis ich dir nahe bin.
Du hast geweint, wenn ich mich selbst beweinte,
du warst bei mir, wenn ich mich nicht mehr fand,
du warst es, die das Ungereimte
in mir zu einem Vers verband.
Oft fände ich mich in dir gerne wieder,
doch immer wieder finde ich nur dich,
so atmest du in jedem meiner Lieder,
so lieb ich dich.
Lasst doch den Menschen ihr Leid,
hab ich neulich kurz mal in die Runde geworfen,
und schon hab ich mich in die Nesseln gesetzt.
»Bist du wahnsinnig geworden,
faschistoid,
dir geht’s wohl zu gut?«
Aber bitte, sag ich,
halten Sie sich das doch mal ganz deutlich vor Augen,
was uns die Versicherungsvertreter aller Art verkaufen wollen,
gesund und glücklich und ohne Zwischenfälle,
derselbe Job,
dieselbe Frau,
derselbe Mann,
ab und zu ein paar Fernsehprogramme mehr,
die Auswahl wird größer,
die Programme werden schlechter,
keine Schicksalseinmischungen,
keine Zwischenfälle,
kein Risiko,
ein Leben lang geregelt leben,
Besitz vermehrt,
kein Haus brennt ab,
kein Geld wird entwertet,
die Kinder gehen jeden Tag zur Schule,
wenn’s geht, Sonnengarantie Juli/August,
kein Beinbruch beim Skifahren,
und Sie finden auch wirklich nichts,
worüber Sie sich aufregen könnten,
die Partei, die Sie wählen, gewinnt immer
und hält immer, was sie verspricht …
Wird Ihnen nicht jetzt schon übel –
soll ich weitermachen?
Ihre Frau läuft Ihnen garantiert nie davon,
Ihre Geliebte telefoniert nie mit Ihrer Frau,
wenn Sie keine Lust mehr haben,
packt sie still und ohne zu weinen die Koffer
und verschwindet aus der Stadt,
und der Himmel,
ja, der Himmel ist Ihnen gewiss,
gleich nach dem Sterben schlagen Sie die Augen auf:
Derselbe Job,
dieselbe Frau,
derselbe Mann,
ab und zu ein paar
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