Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)
sind’s, die ihn schlächten.
Aber wer macht denn die Umständ so schlecht?
Und sicher, jeder gäbe sich gern
ganz seiner Seele hin,
nur die Zeit, an der mangelt’s
und das Gelächter, der Spott
wenn man sich aufmacht, sich aufzumachen.
Besser, man zerrt die Umständ vors hohe Gericht.
Dunkelhaft, Einzelhaft, weg mit den Umständen!
Immer finden sich welche, die Umstand heißen.
Kerker, Galeeren und Wasser und Brot,
denn der Mensch ist nicht schlecht,
nur die Umstände sind’s, die ihn schlächten.
Und siehe oben:
Wer macht denn die Umständ so schlecht?
Ach, diese schöne Stunde
und Rausch und Überfluss
und du an meiner Seite –
und Kuss für Kuss
gefallen wir uns besser.
Ist das nicht fies?
Die Welt liegt unterm Messer –
und wir im Paradies.
Hab so eine Sehnsucht, mich aufzuspüren,
mich in den Griff zu kriegen,
und scheitere oft schon am Buchstabieren
und dann bleib ich meistens liegen.
Zwischen Rausch und Askese, halb Heiligenschein,
halb Auswurf der Hölle, ich schwebe
und pendle mich meistens nicht mehr ein –
und doch: ich lebe. Ich lebe!
Die Türen verriegelt. Die Stürme verbannt.
Zu wissend, um noch zu ahnen.
Erst haben wir alles umbenannt,
jetzt scheitern wir an den Namen.
Herrschaft der Gifte: Sie heißen Nacht
und schlaflos und Einsamkeit.
Wer sich, wie wir, um den Tag gebracht,
dem endet die endlose Zeit.
Kein Fenster, kein Duft, ach, wär nur ein Baum,
ein Stückchen Himmel zu sehen.
Zwischen Suchen und Sucht, zu viel und kaum
verlernten wir zu überstehen.
Da war doch mal Sonne und Mittelmeer
da tönten doch Rosen und Licht –
jetzt lasten die Nächte als Narben schwer
auf unsrem verhuschten Gesicht.
Nächtens, wenn die Sonnen schweigen,
wird die Frage laut: Warum?
Wärst so gerne dir zu eigen
und stehst doch nur außen rum.
Nächtens, niemand liegt dir bei,
kaltes Bett und kahle Wände.
Schlaftabletten. Stummer Schrei:
Manche falten noch die Hände.
Nächtens. Zehnter Stock. Terrasse.
Nebenan, Apartment sieben,
starrt ein Nächster auf die Straße
und beschließt, davonzufliegen.
Nächtens, wenn die Sonnen schweigen,
wird die Frage laut: Wozu?
Wärst so gerne dir zu eigen.
Schließ die Augen. Deck dich zu.
Immer ist Ort und Stunde.
Immer bist du gemeint.
Und es ist jede Wunde
einmal zu Ende geweint.
So viele Schritte gegangen,
egal, wohin sie geführt.
Hauptsache angefangen,
ab und zu Leben gespürt.
Immer ist immer und weiter,
Immer – das bist du.
Die Tore öffnen, und heiter
schreitet der Tag auf dich zu.
Fragwürdig ist das natürlich
immer wieder,
diese Seelenauswürfe,
diese Hirnfragmente,
ausgespien von Klein- und Größerkünstlern aller Art,
sozusagen in Sie hineingeschleudert,
jetzt fressen Sie mal,
jetzt erweitern Sie gefälligst Ihr Bewusstsein,
hab Sonne im Herzen
und Heine im Hirn,
und dann auch noch dieser zwielichtige Bayer,
wenn man der Presse glauben darf,
lebt der auch immer ganz anders,
als er schreibt,
oder schreibt er immer anders, als er lebt,
manchmal lebt der nur noch
und schreibt gar nichts,
stellen Sie sich das mal vor,
dem soll ja schon ein paar Monate
gar nichts mehr eingefallen sein,
der hockt nur noch in seiner Wirtschaft rum
und knallt sich die Birne voll.
Fragwürdig, äußerst fragwürdig,
da muss einem doch der Sinn
fürs Eigentliche schwinden,
und ein deutscher Sänger hat fürs Eigentliche zu sorgen,
dem wollen wir doch mal zeigen,
was das eigentlich ist,
das Eigentliche,
immer nur von sich zu sprechen,
wenn’s doch um Deutschland geht.
Fragwürdig,
der Frage würdig,
würdig zu fragen,
würden Sie mal die Frage gestatten,
was das eigentlich soll?
Wir wollen über Kohl schimpfen,
wir wollen uns über Strauß auslassen,
hier wird nicht gesungen,
hier wird diskutiert,
stecken Sie sich Ihre Poesie in den Arsch
und reden Sie Tacheles!
Aber was bitte könnte schon radikaler sein
als ein poetisches Leben?
Endlose Gespräche mit schönen Menschen,
das Zittern in der Magengegend,
wenn man das erste Mal
zusammen ein Hotelzimmer mietet,
in der Sonne liegen,
wenn man arbeiten müsste,
das Absingen obszöner Lieder
in den Gefängniszellen sauberer Länder
und dann natürlich die Wut,
die Trauer,
die Ohnmacht,
immer stirbt etwas an einem,
wenn einem anderen die Zunge rausgerissen wird,
nur weil er zu empfindsam ist.
Schmerz, manchmal
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